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Schwelle schritt, klingelte auch das Telefon. Es war ihre Mutter, was sich Sophie wohl am wütend klingenden Läuten ihres Telefons gedacht hatte. Zumindest bildete sie es sich ein, es daran erkannt zu haben und als wäre sich Sophie nicht schon sicher genug gewesen, bestätigte der erste Satz, der ihr durch die Hörermuschel entgegentönte, diese Befürchtung.
„Wo warst du denn den ganzen Tag?",
wollte ihre Mutter wissen, die keine Zeit für eine überflüssige Begrüßungsfloskel zu verschwenden hatte.
„Wie? In der Arbeit natürlich. Was glaubst du denn, was ich den ganzen Tag lang mache?",
entgegnete Sophie in einer herablassenden Art und Weise, die ihre Mutter kurzzeitig verstummen ließ. Nach einigen Sekunden ertönte sie wieder in hoher Stimmlage:
„Ach! Na, ich dachte du hättest schon Urlaub?"
„Erst nächste Woche. Das hab ich dir jetzt aber schon ein paar Mal gesagt, oder?",
erinnerte sie Sophie mit deutlichem Ton, welcher keine missverständlichen Signale liefern sollte, die ihre Mutter zu weiterer Kommunikation hätte anregen können. Soweit Sophie zurückdenken kann, war das Verhältnis zu ihrer Mutter gestört. Einen Grund dazu hätte es zwar konkret nie gegeben, doch Sophie war sich sicher, diese lieblose und kühle Beziehung zu ihren Eltern würde am Tod ihrer Schwester Anna liegen, die bereits vor Sophies Geburt durch einen Autounfall ums Leben gekommen war. Ihre Eltern wollten mit einem neuen Kind die Leere füllen, die Anna bei ihnen hinterlassen hätte. Anscheinend wäre aber der Schmerz über ihren Verlust zu groß gewesen, als dass die Liebe zu einem zweiten Kind neu entstehen hätte können. Zumindest war dies die einzige Theorie, die Sophie annähernd erklären konnte, wieso man sich im hohen Alter noch ein Kind zumuten möchte, für das man sich dann, wenn es auf die Welt gekommen war, nicht sonderlich interessieren wollte. Als Sophie schließlich mit 16 Jahren alt genug für eine Ausbildung war, zog sie von zuhause aus und begann ihre Lehre zur Zahnarzthelferin. Diese hatte sie drei Jahre später auch erfolgreich abschließen können. Ihren Eltern schien es überhaupt nichts auszumachen, dass ihre junge Tochter nun alleine in einer großen Stadt leben wollte. Obwohl sie noch keine Ahnung davon hatte, wie es ist für sich selbst sorgen zu müssen, war Sophie über ihre Entscheidung sehr glücklich. Auch ihre Eltern waren erleichtert, denn Sophie würde ihnen nun nicht mehr auf der Tasche liegen. Das hatten sie ihrer Tochter mehrmals gesagt und sie machten auch kein Geheimnis daraus. Im Gegensatz dazu, hätten sie es nie über ihre Lippen gebracht, Sophie zu sagen, dass sie stolz auf sie gewesen wären. Erst als Sophies Vater ein Jahr nach ihrem Auszug plötzlich an einem Schlaganfall verstarb, hatte sich das Verhältnis zu ihrer Mutter zwar nicht verbessert, doch der Kontakt zu ihr ist häufiger geworden und auch wenn Sophie gerne darauf verzichtet hätte, so zerbrach ihr Herz am Gedanke an eine einsame alte Witwe in einem verlassenen Haus. Also ließ sie die gelegentlichen Anrufe ihrer mittlerweile 65-järigen Mutter über sich ergehen, auch wenn die Gespräche über das Telefon nicht liebloser hätten ablaufen können. Meistens waren es nur oberflächliche Themen, die fast gezwungen abgearbeitet wurden und wohl keinen der Beiden wirklich Freude bereitet haben. Am Wenigsten jedoch Sophie, die lieber ihre Ruhe gehabt hätte, statt diese lästigen Telefonate mit ihr zu führen. Vor allem dann, wenn sie wie an diesem Tag, gerne etwas schlafen hätte wollen. So fiel es ihr nicht schwer, das Gespräch mit dem Versprechen:
„Ich ruf dich später an!"
zu beenden. Ehe Sophie den Hörer mit einem erleichterten Schnauben in die Telefonstation zurückfallen ließ, war sie innerlich schon so aufgewühlt, dass ihre Müdigkeit für kurze Zeit wie ausgelöscht schien. Anstatt nun zu schlafen, wollte sie die Zeit dazu nutzen, mit Make-Up ihre müden Augen zu kaschieren. Auch musste sie sich noch überlegen, was sie auf die Weihnachtsfeier anziehen sollte, da sie keine Lust darauf hatte, von Simone verächtlich gemustert zu werden. Obwohl das sicher auch der Fall gewesen wäre, wenn sie das schönste Kleid im ganzen Restaurant getragen hätte. Sophie entwickelte sich zu einer sehr attraktiven Frau und auch wenn sie nie die langen Beine bekam, die sie sich als Teenager immer wünschte, so hatte sie einen schlanken weiblichen Körper und ein zierliches Gesicht, das eine kleine Stupsnase und dicke Wangen noch etwas kindlich, doch sehr wohlgeformt erscheinen ließ. Am meisten störten Sophie jedoch ihre dicken Augenringe und der blasse Teint, sodass ihre wahre Schönheit nie wirklich zur Geltung kam. Trotz ihrer ansonsten makellosen Schönheit, musste sie sich aber von Simone oft böswillige Beleidigungen über ihr Äußeres gefallen lassen. Sie würde sich laut ihren Aussagen wie ein Bauernmädchen kleiden, hätte keine Eleganz und auch sonst nichts, was für eine Frau wichtig wäre und obwohl Simone ebenso wie Sophie sehr ästhetisch anzusehen war, so hatte sie Sophie eine Persönlichkeit voraus, die nur so vor Selbstbewusstsein strotzte. Von außen betrachtet schien es fast so, als wäre Simone für eigene Fehler unbelehrbar und nur darauf bedacht, andere auf ihre Macken aufmerksam zu machen. Auch vor direkten Anschuldigungen schreckte sie nie zurück, zumindest dann nicht, wenn sie davon ausgehen konnte, dass sie kein Kontra zu erwarten hatte, was bei Sophie auch nicht zu befürchten gewesen wäre, denn ihr war es lieber, solche Angriffe, die sich gegen ihr Selbstwertgefühl richteten, auf passive Art und Weise zu verhindern. Sie wollte Simone nur keine Gründe dazu liefern, Kritik an ihr üben zu können, was ihr so gut wie nie gelang, denn Simone brauchte keinen Anlass um andere hinsichtlich ihrer Person schlecht zu reden. Dennoch versuchte Sophie mit teuren Markenkleidern, Make-Up, wechselnder Frisur und Parfum, Simone möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. So gab sie das meiste ihres Gehalts für Sachen aus, die sie nur dazu verwendete, um ihre Unsicherheiten möglichst effektiv verstecken zu können. Auch für die Weihnachtsfeier wollte sich Sophie möglichst hübsch machen, damit jeglicher Zweifel an ihrer Person vermeidet werden konnte. Während sie also noch vor dem Spiegel neben ihrem Bett saß und bereits zum dritten Mal ihren Lidstrich auf gerötete Haut auftrug, die ihr von dem ständigen Abschminken schon schmerzte, hatte sie völlig die Zeit aus den Augen verloren. Es war bereits kurz nach 19:00 Uhr und in einer halben Stunde
Leseprobe aus: Schwarzes Kolorit