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wollte sie sich noch mit Katherine treffen, um dann gemeinsam mit der Straßenbahn zum Restaurant zu fahren, wo sie sich mit den anderen aus der Praxis treffen würden. So schminkte sie sich noch schnell fertig, zog das Kleid an, für das sie sich nach etlichem Für-und-wider entscheiden konnte, zupfte in einer Wolke aus Parfum und Haarspray ihre Frisur in Form und stürmte hastig aus der Wohnung.
3
Die Stadt erstrahlte in bunten Farben und die Lichter spiegelten sich auf den vereisten Oberflächen der Straßen wider. Je näher Sophie den grellen Festtagsbeleuchtungen der Schaufensterläden kam, desto stärker begannen ihre übermüdeten Augen zu brennen. Das Restaurant in dem die Weihnachtsfeier stattfand, lag direkt im Zentrum der Altstadt und Sophie musste sich ganz auf Katherines Orientierungssinn verlassen, da sie starke Probleme dabei hatte, ihre Augen offen zu halten. Das Sehen fiel ihr von Minute zu Minute schwerer und ihre volle Aufmerksamkeit galt nur noch der Vermeidung von Kollisionen mit Straßenlaternen oder Passanten.
„Gleich sind wir da. Kannst du es sehen?",
fragte Katherine Sophie, die angestrengt versucht, ihre Augen etwas weiter aufzumachen. Dabei verzog sie ihr Gesicht zu einer Grimasse und ihr Blick verschwamm in einem Meer aus Lichterketten, Straßenlaternen und Autoscheinwerfern. Währenddessen wartete Dr. Kollwitz bereits am Eingang des Restaurants und begrüßte die Beiden laut rufend und mit beiden Armen winkend:
„Hallo! Hier drüben!",
und als sie näher kamen und er Sophies schmerzverzerrtes Gesicht erkennen konnte, fügte er besorgt hinzu:
„Sophie, ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
„Alles prima! Danke der Nachfrage!"
antwortete sie, obwohl ihre Lüge offensichtlich für ihn war.
„Na dann wollen wir mal!",
sagte Dr. Kollwitz und ließ den beiden Damen den Vortritt.
„Oh, ein Kavalier.",
schmeichelte Katherine lächelnd und hakte sich bei ihm ein, während sie ins Vorzimmer des Restaurants gingen. Das gedimmte Licht der Innenbeleuchtung ließ Sophie allmählich wieder Umrisse erkennen und als sie sehen konnte, dass Simone und ihr Mann Jacob noch fehlten, fragte sie mit leicht gehässigem Unterton:
„Wo werden denn unsere Ehrengäste bleiben?"
Die Antwort war ihr relativ egal, denn sie wollte nur auf Simones Unpünktlichkeit aufmerksam machen, was Katherine mit einem kurzen Augenzwinkern kommentierte. Dr. Kollwitz hingegen erwiderte darauf nur scherzhaft:
„Wahrscheinlich wird Herr Lohr seine Krawatte noch bügeln müssen."
Simone war mit Jacob bereits seit zwei Monaten verheiratet, doch keiner wusste etwas von einer Hochzeit und plötzlich hieß es eines Tages, ihr Name Rees hätte sich in Rees-Lohr geändert. Natürlich wunderten sich auch Katherine und Dr. Kollwitz über die rasche Vermählung, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Simone heiraten würde. Das dachte sich zumindest Sophie, denn bereits einige Wochen zuvor teilte Simone ihnen ihre Schwangerschaft mit. Was umso erstaunlicher war, denn selbst von einem potentiellen Freund hätte man nie etwas mitbekommen und einen dickeren Bauch konnte man bei ihrem durchtrainierten Körper auch nicht feststellen. Simone erzählte generell nicht viel von ihrem Privatleben, was Sophie auch niemals angesprochen hätte. Ihr war der berufliche Kontakt zu ihr bereits anstrengend genug. Man wusste also nicht viel von Jacob und die Drei waren umso gespannter ihn endlich kennen zu lernen. Einige Minuten vergingen und es wurden bereits Bestellungen für die Getränke aufgenommen. Nach etwa weiteren dreißig Minuten hörte man immer noch nichts von Simone und Jacob, also beschloss man auch die Vorspeise zu bestellen.
„Sollte ich vielleicht mal anrufen?",
fragte Dr. Kollwitz etwas ratlos wirkend nach, um sich nicht durch ein mögliches Fehlverhalten den Unmut seiner Angestellten zuziehen.
„Kann sein, dass es wegen dem Baby noch etwas länger bei den Beiden dauern wird. Vielleicht können sie sich einfach nur schwer von ihrem Kind trennen. Ich würde noch ein paar Minuten warten.",
beruhigte ihn Katherine und blickte dabei kurz zu Sophie hinüber. Es war, als hätten sie sich gleichzeitig denselben Gedanken geteilt, denn je später Simone eintrifft, desto kürzer hätten sie sie zu ertragen und für einen schnellen Blick auf Jacob wäre noch Zeit genug gewesen. Doch kaum hatte Katherine ihren Satz zu Ende gesprochen, stand Simone bereits am Durchbruch zur Garderobe und hing zwei dicke Wintermäntel zusammen an einen Kleiderhaken.
„Wenn man vom Teufel spricht.",
flüsterte Sophie in einer Lautstärke, sodass nur Katherine es hören konnte.
„Tut mir leid, dass wir jetzt erst auftauchen. Der Verkehr war die Hölle.",
entschuldigte sich Simone, während sie zu ihnen an den Tisch kam. Da man ihrer gereizten Stimmlage die Ernsthaftigkeit dieser Entschuldigung nur schwer abkaufen konnte, fragte sich Sophie im dabei Stillen, ob es nicht die Hölle gewesen wäre, aus der sie gerade empor stieg. Aber es war nicht überraschend, dass sie erst später eintrafen, denn Jacob wohnte weiter außerhalb der Stadt und weil Simone zu ihm gezogen war, musste sie immer eine Dreiviertelstunde mehr mit einberechnen, wenn sie zur Arbeit fahren wollte. Vorausgesetzt natürlich ohne Stau und Feierabendverkehr. Zuvor wohnte sie in einer kleinen Mansardenwohnung, nur ungefähr fünf Minuten von der Praxis entfernt. Sophie war sich sicher, dass Simone nach der Babypause sowieso ihre Stelle als Arzthelferin kündigen wird, da es für sie mit der Zeit wohl zu lästig werden würde, ständig mit dem Auto zur Arbeit fahren zu müssen.
"Wo ist denn Ihr Gatte, Frau Lohr? Wir warten hier schon gespannt auf das glückliche Ehepaar."
Dr. Kollwitz bemerkte, dass er seine Frage gerade etwas unpassend formulierte, denn Simones Miene sah ziemlich gestresst und alles andere als glücklich aus. Mürrisch erwiderte sie:
"Der sucht noch einen Parkplatz. Das kann sich also nur um Stunden handeln."
Während Simone ihren Platz zwischen Dr. Kollwitz und einem leeren Stuhl einnahm, der für ihren Mann gedacht war, würdigte sie Katherine und Sophie keines Blickes. Für ein paar Minuten herrschte Totenstille und als gerade der Kellner die Vorspeisen, drei Teller Rote-Bete-Suppe mit Lebkuchengewürz, aus der Küche brachte, stürmte Simone entnervt auf, sodass ihre Stuhllehne zurück an die Tischkante knallte und die Erschütterung die Suppe von Dr. Kollwitz über den Tellerrand schwappen ließ.
"Ich sehe lieber mal nach, wo mein Mann bleibt. Kann gut sein, dass er sich auch noch auf dem Weg vom Parkplatz hierher verlaufen wird. Ihr könnt ja inzwischen schon mal eure Suppen essen.",
keifte Simone ihnen noch zu, während sie laut trampelnd das Restaurant verließ, um auf ihren Mann zu warten. Sie machte sich keine Umstände, ihre schlechte Laune vor ihnen zu verbergen. Es
Leseprobe aus: Schwarzes Kolorit