Leutnant Gustl - Page 3

Bild zeigt Arthur Schnitzler
von Arthur Schnitzler

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Der Brunnthaler ist ganz gescheit, der hat sein Glas immer im Kaffeehaus bei der Kassa liegen, da kann einem nichts g'scheh'n... Wenn sich die Kleine da vor mir nur einmal umdreh'n möcht'! So brav sitzt s' alleweil da. Das neben ihr ist sicher die Mama. – Ob ich nicht doch einmal ernstlich ans Heiraten denken soll? Der Willy war nicht älter als ich, wie er hineingesprungen ist. Hat schon was für sich, so immer gleich ein hübsches Weiberl zu Haus vorrätig zu haben... Zu dumm, daß die Steffi grad' heut' keine Zeit hat! Wenn ich wenigstens wüßte, wo sie ist, möcht' ich mich wieder vis-à-vis von ihr hinsetzen. Das wär' eine schöne G'schicht', wenn ihr der draufkommen möcht', da hätt' ich sie am Hals... Wenn ich so denk', was dem Fließ sein Verhältnis mit der Winterfeld kostet! Und dabei betrügt sie ihn hinten und vorn. Das nimmt noch einmal ein Ende mit Schrecken... Bravo, bravo! Ah, aus!... So, das tut wohl, aufsteh'n können, sich rühren... Na, vielleicht! Wie lang' wird der da noch brauchen, um sein Glas ins Futteral zu stecken?

»Pardon, pardon, wollen mich nicht hinauslassen?«...

Ist das ein Gedränge! Lassen wir die Leut' lieber vorbeipassieren... Elegante Person... ob das echte Brillanten sind?... Die da ist nett... Wie sie mich anschaut!... O ja, mein Fräulein, ich möcht' schon!... O, die Nase! – Jüdin... Noch eine... Es ist doch fabelhaft, da sind auch die Hälfte Juden... nicht einmal ein Oratorium kann man mehr in Ruhe genießen... So, jetzt schließen wir uns an... Warum drängt denn der Idiot hinter mir? Das werd' ich ihm abgewöhnen... Ah, ein älterer Herr!... Wer grüßt mich denn dort von drüben?... Habe die Ehre, habe die Ehre! Keine Ahnung hab' ich, wer das ist... Das Einfachste wär', ich ging gleich zum Leidinger hinüber nachtmahlen... oder soll ich in die Gartenbaugesellschaft? Am End' ist die Steffi auch dort? Warum hat sie mir eigentlich nicht geschrieben, wohin sie mit ihm geht? Sie wird's selber noch nicht gewußt haben. Eigentlich schrecklich, so eine abhängige Existenz... Armes Ding! – So, da ist der Ausgang... Ah, die ist aber bildschön! Ganz allein? Wie sie mich anlacht. Das wär' eine Idee, der geh' ich nach!... So, jetzt die Treppen hinunter: Oh, ein Major von Fünfundneunzig... Sehr liebenswürdig hat er gedankt... Bin doch nicht der einzige Offizier herin gewesen... Wo ist denn das hübsche Mädel? Ah, dort... am Geländer steht sie... So, jetzt heißt's noch zur Garderobe.. Daß mir die Kleine nicht auskommt... Hat ihm schon! So ein elender Fratz! Laßt sich da von einem Herrn abholen, und jetzt lacht sie noch auf mich herüber! – Es ist doch keine was wert... Herrgott, ist das ein Gedränge bei der Garderobe!... Warten wir lieber noch ein bisserl... So! Ob der Blödist meine Nummer nehmen möcht'?...

»Sie, zweihundertvierundzwanzig! Da hängt er! Na, hab'n Sie keine Augen? Da hängt er! Na, Gott sei Dank!... Also bitte!«...

Der Dicke da verstellt einem schier die ganze Garderobe... »Bitte sehr!«...

»Geduld, Geduld!«

Was sagt der Kerl?

»Nur ein bisserl Geduld!«

Dem muß ich doch antworten... »Machen Sie doch Platz!«

»Na, Sie werden's auch nicht versäumen!«

Was sagt er da? Sagt er das zu mir? Das ist doch stark! Das kann ich mir nicht gefallen lassen! »Ruhig!«

»Was meinen Sie?«

Ah, so ein Ton! Da hört sich doch alles auf!

»Stoßen Sie nicht!«

»Sie, halten Sie das Maul!« Das hätt' ich nicht sagen sollen, ich war zu grob... Na, jetzt ist's schon g'scheh'n!

»Wie meinen?«

Jetzt dreht er sich um... Den kenn' ich ja! – Donnerwetter, das ist ja der Bäckermeister, der immer ins Kaffeehaus kommt... Was macht denn der da? Hat sicher auch eine Tochter oder so was bei der Singakademie... Ja, was ist denn das? Ja, was macht er denn? Mir scheint gar... Ja, meiner Seel', er hat den Griff von meinem Säbel in der Hand... Ja, ist der Kerl verrückt?... »Sie, Herr...«

»Sie, Herr Leutnant, sein S' jetzt ganz stad.«

Was sagt er da? Um Gottes willen, es hat's doch keiner gehört? Nein, er red't ganz leise... Ja, warum laßt er denn meinen Säbel net aus?... Herrgott noch einmal... Ah, da heißt's rabiat sein... ich bring' seine Hand vom Griff nicht weg... nur keinen Skandal jetzt!... Ist nicht am End' der Major hinter mir?... Bemerkt's nur niemand, daß er den Griff von meinem Säbel hält? Er red't ja zu mir! Was red't er denn?

»Herr Leutnant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh' ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihn und schick' die Stück' an Ihr Regimentskommando. Versteh'n Sie mich, Sie dummer Bub?«

Was hat er g'sagt? Mir scheint, ich träum'! Red't er wirklich zu mir? Ich sollt' was antworten... Aber der Kerl macht ja Ernst – der zieht wirklich den Säbel heraus. Herrgott – er tut's!... Ich spür's, er reißt schon d'ran! Was red't er denn?... Um Gottes willen, nur kein' Skandal – – Was red't er denn noch immer?

»Aber ich will Ihnen die Karriere nicht verderben... Also, schön brav sein!... So, hab'n S' keine Angst, 's hat niemand was gehört... es ist schon alles gut... so! Und damit keiner glaubt, daß wir uns gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mit Ihnen sein! – Habe die Ehre, Herr Leutnant, hat mich sehr gefreut – habe die Ehre!«

Um Gottes willen, hab' ich geträumt? Hat er das wirklich gesagt?... Wo ist er denn?... Da geht er... Ich müßt' ja den Säbel ziehen und ihn zusammenhauen – – Um Gottes willen, es hat's doch niemand gehört?... Nein, er hat ja nur ganz leise geredet, mir ins Ohr... Warum geh' ich denn nicht hin und hau' ihm den Schädel auseinander?... Nein, es geht ja nicht, es geht ja nicht... gleich hätt' ich's tun müssen... Warum hab' ich's denn nicht gleich getan?... Ich hab's ja nicht können... er hat ja den Griff nicht auslassen, und er ist zehnmal stärker als ich... Wenn ich noch ein Wort gesagt hätt', hätt' er mir wirklich den Säbel zerbrochen... Ich muß ja noch froh sein, daß er nicht laut geredet hat! Wenn's ein Mensch gehört hätt', so müßt' ich mich ja stante pede erschießen... Vielleicht ist es doch ein Traum gewesen... Warum

Veröffentlicht / Quelle: 
Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 337-366. Erstdruck: Neue Freie Presse, Wien, 25. Dezember 1900

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Interpretation und Zusammenfassung: Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“

Arthur Schnitzlers Novelle Leutnant Gustl (1900) gilt als Meilenstein der Literaturgeschichte und markiert den Beginn des inneren Monologs als literarisches Stilmittel im deutschsprachigen Raum. In dieser bahnbrechenden Erzählung gewährt Schnitzler einen ungeschönten Einblick in die Gedankenwelt eines österreichischen Leutnants der Jahrhundertwende. Die Novelle ist nicht nur ein literarisches Experiment, sondern auch eine scharfsinnige Gesellschaftskritik, die die Werte und Widersprüche des Militärapparats sowie der Wiener Gesellschaft thematisiert.

Inhaltliche Zusammenfassung

Die Handlung spielt sich nahezu vollständig im Kopf des Protagonisten, Leutnant Gustl, ab. Nach einem Konzert gerät Gustl mit einem Bäckermeister in einen Streit, bei dem dieser Gustl verbal bloßstellt und körperlich bedroht. Für Gustl, der in einer Welt lebt, in der Ehre und gesellschaftliches Ansehen alles bedeuten, ist dieser Vorfall eine Katastrophe. Sein militärischer Ehrenkodex verlangt in einer solchen Situation entweder Genugtuung durch ein Duell oder, falls dies unmöglich ist, den Suizid, um die eigene Ehre wiederherzustellen.

Die Nacht und der darauffolgende Tag durchlebt Gustl in tiefen existenziellen Konflikten, die zwischen Selbstmitleid, Angst, Trotz und gelegentlichem Selbstbewusstsein schwanken. Der innere Monolog enthüllt dabei nicht nur seine oberflächliche, impulsive Persönlichkeit, sondern auch die hohlen, oft grotesken Ideale, denen er folgt. Am Ende erfährt Gustl, dass der Bäckermeister unerwartet verstorben ist. Für ihn bedeutet dies die Wiederherstellung seiner Ehre, und er wendet sich ohne jegliche Reflexion seinem Alltag zu.

Interpretation und Themen

Schnitzler entlarvt in Leutnant Gustl die fragile Ehre und die geistige Leere einer Gesellschaftsschicht, die ihre Identität ausschließlich über äußere Werte wie Stand und Ansehen definiert. Gustls gedankliche Sprunghaftigkeit, seine Egozentrik und seine Unfähigkeit zur Selbstreflexion machen ihn zu einem Symptom des gesellschaftlichen Klimas der damaligen Zeit. Schnitzler kritisiert nicht nur den Ehrenkodex des Militärs, sondern auch die Doppelmoral und Oberflächlichkeit der kaiserlichen Wiener Gesellschaft.

Die Novelle spiegelt zudem Schnitzlers eigene Erfahrungen als Arzt wider, der sich intensiv mit der Psychoanalyse und den Theorien Sigmund Freuds auseinandersetzte. Die Darstellung der psychologischen Mechanismen im Bewusstsein und Unterbewusstsein des Protagonisten macht das Werk zu einer psychologischen Studie, die auch heute noch relevant ist.

Einordnung ins Gesamtwerk

Leutnant Gustl reiht sich in Schnitzlers Gesamtwerk als frühes Beispiel seiner kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen und psychologischen Mechanismen der Wiener Gesellschaft ein. Werke wie die Traumnovelle (1926), die die dunklen Sehnsüchte und Abgründe der menschlichen Psyche beleuchtet, oder Casanovas Heimfahrt (1918), das den Alterungsprozess und die Melancholie eines ehemaligen Verführers thematisiert, greifen ähnliche Themen auf. Gemeinsam ist ihnen Schnitzlers Fähigkeit, komplexe Charaktere und deren innere Konflikte feinfühlig und präzise zu skizzieren.

Relevanz von Leutnant Gustl

Die Novelle bleibt ein bedeutendes Werk der literarischen Moderne und hat durch ihre innovative Erzähltechnik und tiefgehende Gesellschaftskritik nichts von ihrer Aktualität verloren. Sie fordert den Leser auf, über den Wert von Ehre, die Rolle des Individuums in sozialen Strukturen und die Illusionen einer gesellschaftlichen Fassade nachzudenken. Schnitzlers feinfühlige Analyse menschlicher Schwächen und seiner Zeit machen Leutnant Gustl zu einem zeitlosen Klassiker der Literatur.

Prosa in Kategorie: 
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