Leutnant Gustl - Page 7

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von Arthur Schnitzler

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Sie sind jetzt allein, brauchen niemandem einen Pflanz vorzumachen... es ist bitter, es ist bitter...

Ich will mich auf die Bank setzen... Ah! – Wie weit bin ich denn da? – So eine Dunkelheit! Das da hinter mir, das muß das zweite Kaffeehaus sein.. bin ich im vorigen Sommer auch einmal gewesen, wie unsere Kapelle konzertiert hat... mit'm Kopetzky und mit'm Rüttner – noch ein paar waren dabei.. – Ich bin aber müd'... nein, ich bin müd', als wenn ich einen Marsch von zehn Stunden gemacht hätt'... Ja, das wär' sowas, da einschlafen. – Ha! Ein obdachloser Leutnant.. Ja, ich sollt' doch eigentlich nach Haus... was tu' ich denn zu Haus? Aber was tu' ich denn im Prater? – Ah, mir wär' am liebsten, ich müßt' gar nicht aufsteh'n – da einschlafen und nimmer aufwachen... Ja, das wär' halt bequem! – Nein, so bequem wird's Ihnen nicht gemacht, Herr Leutnant.. Aber wie und wann? – Jetzt könnt' ich mir doch endlich einmal die Geschichte ordentlich überlegen... überlegt muß ja all es werden... so ist es schon einmal im Leben... Also überlegen wir... Was denn?... – Nein, ist die Luft gut... man sollt' öfters bei der Nacht in' Prater geh'n... Ja, das hätt' mir eben früher einfallen müssen, jetzt ist's aus mit'm Prater, mit der Luft und mit'm Spazierengeh'n... Ja, also was ist denn? – Ah, fort mit dem Kappl; mir scheint, das drückt mir aufs Gehirn... ich kann ja gar nicht ordentlich denken... Ah... so!... Also jetzt Verstand zusammennehmen, Gustl... letzte Verfügungen treffen! Also morgen früh wird Schluß gemacht... morgen früh um sieben Uhr... sieben Uhr ist eine schöne Stund'. Haha! – Also um acht, wenn die Schul' anfangt, ist alles vorbei... der Kopetzky wird aber keine Schul' halten können, weil er zu sehr erschüttert sein wird... Aber vielleicht weiß er's noch gar nicht... man braucht ja nichts zu hören... Den Max Lippay haben sie auch erst am Nachmittag gefunden, und in der Früh' hat er sich erschossen, und kein Mensch hat was davon gehört... Aber was geht mich das an, ob der Kopetzky Schul' halten wird oder nicht?... Ha! – Also um sieben Uhr! – Ja... na, was denn noch?... Weiter ist ja nichts zu überlegen. Im Zimmer schieß' ich mich tot, und dann is basta! Montag ist die Leich'... Einen kenn' ich, der wird eine Freud' haben: das ist der Doktor... Duell kann nicht stattfinden wegen Selbstmord des einen Kombattanten... Was sie bei Mannheimers sagen werden? – Na, er wird sich nicht viel d'raus machen... aber die Frau, die hübsche, blonde... mit der war was zu machen... O ja, mir scheint, bei der hätt' ich Chance gehabt, wenn ich mich nur ein bissl zusammengenommen hätt'... Ja, das wär' doch was anders gewesen, als die Steffi, dieses Mensch... Aber faul darf man halt nicht sein... da heißt's: Cour machen, Blumen schicken, vernünftig reden... das geht nicht so, daß man sagt: Komm' morgen nachmittag zu mir in die Kasern'!... Ja, so eine anständige Frau, das wär' halt was g'wesen... Die Frau von meinem Hauptmann in Przemysl, das war ja doch keine anständige Frau... ich könnt' schwören: der Libitzky und der Wermutek und der schäbige Stellvertreter, der hat sie auch g'habt... Aber die Frau Mannheimer... Ja, das wär' was anders, das wär' doch auch ein Umgang gewesen, das hätt' einen beinah' zu einem andern Menschen gemacht – da hätt' man doch noch einen andern Schliff gekriegt – da hätt' man einen Respekt vor sich selber haben dürfen. – – Aber ewig diese Menscher... und so jung hab' ich angefangen – ein Bub war ich ja noch, wie ich damals den ersten Urlaub gehabt hab' und in Graz bei den Eltern zu Haus war... der Riedl war auch dabei – eine Böhmin ist es gewesen... die muß doppelt so alt gewesen sein wie ich – in der Früh bin ich erst nach Haus gekommen... Wie mich der Vater angeschaut hat... und die Klara... Vor der Klara hab' ich mich am meisten g'schämt... Damals war sie verlobt... warum ist denn nichts d'raus geworden? Ich hab' mich eigentlich nicht viel d'rum gekümmert... Armes Hascherl, hat auch nie Glück gehabt – und jetzt verliert sie noch den einzigen Bruder... Ja, wirst mich nimmer seh'n, Klara – aus! Was, das hast du dir nicht gedacht, Schwesterl, wie du mich am Neujahrstag zur Bahn begleitet hast, daß du mich nie wieder seh'n wirst? – Und die Mama... Herrgott, die Mama... nein, ich darf daran nicht denken... wenn ich daran denk', bin ich imstand', eine Gemeinheit zu begehen... Ah... wenn ich zuerst noch nach Haus fahren möcht'... sagen, es ist ein Urlaub auf einen Tag... noch einmal den Papa, die Mama, die Klara seh'n, bevor ich einen Schluß mach'... Ja, mit dem ersten Zug um sieben kann ich nach Graz fahren, um eins bin ich dort... Grüß dich Gott, Mama... Servus, Klara! Na, wie geht's euch denn?... Nein, das ist eine Überraschung!... Aber sie möchten was merken... wenn niemand anders... die Klara... die Klara gewiß... Die Klara ist ein so gescheites Mädel... Wie lieb sie mir neulich geschrieben hat, und ich bin ihr noch immer die Antwort schuldig – und die guten Ratschläge, die sie mir immer gibt... ein so seelengutes Geschöpf... Ob nicht alles ganz anders geworden wär', wenn ich zu Haus geblieben wär'? Ich hätt' Ökonomie studiert, wär' zum Onkel gegangen... sie haben's ja alle wollen, wie ich noch ein Bub war... Jetzt wär' ich am End' schon verheiratet, ein liebes, gutes Mädel... vielleicht die Anna, die hat mich so gern gehabt... auch jetzt hab' ich's noch gemerkt, wie ich das letztemal zu Haus war, obzwar sie schon einen Mann hat und zwei Kinder... ich hab's g'sehn', wie sie mich angeschaut hat... Und noch immer sagt sie mir »Gustl« wie früher... Der wird's ordentlich in die Glieder fahren, wenn sie erfährt, was es mit mir für ein End' genommen hat – aber ihr Mann wird sagen: Das hab' ich vorausgesehen – so ein Lump! – Alle werden meinen, es ist, weil ich Schulden gehabt hab'... und es

Veröffentlicht / Quelle: 
Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 337-366. Erstdruck: Neue Freie Presse, Wien, 25. Dezember 1900

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Interpretation und Zusammenfassung: Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“

Arthur Schnitzlers Novelle Leutnant Gustl (1900) gilt als Meilenstein der Literaturgeschichte und markiert den Beginn des inneren Monologs als literarisches Stilmittel im deutschsprachigen Raum. In dieser bahnbrechenden Erzählung gewährt Schnitzler einen ungeschönten Einblick in die Gedankenwelt eines österreichischen Leutnants der Jahrhundertwende. Die Novelle ist nicht nur ein literarisches Experiment, sondern auch eine scharfsinnige Gesellschaftskritik, die die Werte und Widersprüche des Militärapparats sowie der Wiener Gesellschaft thematisiert.

Inhaltliche Zusammenfassung

Die Handlung spielt sich nahezu vollständig im Kopf des Protagonisten, Leutnant Gustl, ab. Nach einem Konzert gerät Gustl mit einem Bäckermeister in einen Streit, bei dem dieser Gustl verbal bloßstellt und körperlich bedroht. Für Gustl, der in einer Welt lebt, in der Ehre und gesellschaftliches Ansehen alles bedeuten, ist dieser Vorfall eine Katastrophe. Sein militärischer Ehrenkodex verlangt in einer solchen Situation entweder Genugtuung durch ein Duell oder, falls dies unmöglich ist, den Suizid, um die eigene Ehre wiederherzustellen.

Die Nacht und der darauffolgende Tag durchlebt Gustl in tiefen existenziellen Konflikten, die zwischen Selbstmitleid, Angst, Trotz und gelegentlichem Selbstbewusstsein schwanken. Der innere Monolog enthüllt dabei nicht nur seine oberflächliche, impulsive Persönlichkeit, sondern auch die hohlen, oft grotesken Ideale, denen er folgt. Am Ende erfährt Gustl, dass der Bäckermeister unerwartet verstorben ist. Für ihn bedeutet dies die Wiederherstellung seiner Ehre, und er wendet sich ohne jegliche Reflexion seinem Alltag zu.

Interpretation und Themen

Schnitzler entlarvt in Leutnant Gustl die fragile Ehre und die geistige Leere einer Gesellschaftsschicht, die ihre Identität ausschließlich über äußere Werte wie Stand und Ansehen definiert. Gustls gedankliche Sprunghaftigkeit, seine Egozentrik und seine Unfähigkeit zur Selbstreflexion machen ihn zu einem Symptom des gesellschaftlichen Klimas der damaligen Zeit. Schnitzler kritisiert nicht nur den Ehrenkodex des Militärs, sondern auch die Doppelmoral und Oberflächlichkeit der kaiserlichen Wiener Gesellschaft.

Die Novelle spiegelt zudem Schnitzlers eigene Erfahrungen als Arzt wider, der sich intensiv mit der Psychoanalyse und den Theorien Sigmund Freuds auseinandersetzte. Die Darstellung der psychologischen Mechanismen im Bewusstsein und Unterbewusstsein des Protagonisten macht das Werk zu einer psychologischen Studie, die auch heute noch relevant ist.

Einordnung ins Gesamtwerk

Leutnant Gustl reiht sich in Schnitzlers Gesamtwerk als frühes Beispiel seiner kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen und psychologischen Mechanismen der Wiener Gesellschaft ein. Werke wie die Traumnovelle (1926), die die dunklen Sehnsüchte und Abgründe der menschlichen Psyche beleuchtet, oder Casanovas Heimfahrt (1918), das den Alterungsprozess und die Melancholie eines ehemaligen Verführers thematisiert, greifen ähnliche Themen auf. Gemeinsam ist ihnen Schnitzlers Fähigkeit, komplexe Charaktere und deren innere Konflikte feinfühlig und präzise zu skizzieren.

Relevanz von Leutnant Gustl

Die Novelle bleibt ein bedeutendes Werk der literarischen Moderne und hat durch ihre innovative Erzähltechnik und tiefgehende Gesellschaftskritik nichts von ihrer Aktualität verloren. Sie fordert den Leser auf, über den Wert von Ehre, die Rolle des Individuums in sozialen Strukturen und die Illusionen einer gesellschaftlichen Fassade nachzudenken. Schnitzlers feinfühlige Analyse menschlicher Schwächen und seiner Zeit machen Leutnant Gustl zu einem zeitlosen Klassiker der Literatur.

Prosa in Kategorie: 
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