Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 109

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fällt in Ohnmacht. Severino gerät in Extase; er bearbeitet sie in diesem Zustande der Bewußtlosigkeit von hinten; er kneift ihren Hals, um sie wieder zum Leben zu erwecken; endlich öffnet sie wieder die Augen. »Was hast du denn?« fragt sie der Mönch, »das ist ja gar nichts; wir behandeln diese Reize hier manchmal viel ärger. Ein dorniges Kraut, Teufel noch einmal! gut gepfeffert und in Essig getaucht, mit der Spitze eines Messers in die Scheide gesteckt, das braucht es, um diese Reize zu zerreißen. Bei dem ersten Fehler, den du begehst, verurteile ich dich dazu,« sagt der Frevler, der bei diesem Gedanken sich in den prächtigen Hintern seines Opfers ergießt. »Ja, Dirne, ich verurteile dich dazu, und vielleicht zu noch Aergerem vor Ablauf von zwei Monaten.« Endlich bricht der Tag an, worauf Justine verabschiedet wird.

Sie fand beim Eintritt ihre neue Freundin in Tränen aufgelöst. Sie tat, was in ihrer Macht stand, sie zu beruhigen; aber es ist nicht leicht, sich in eine so schreckliche Situation zu finden. Octavie war tugendhaft, empfindlich und religiös; umso schrecklicher kam sie sich in ihrer Lage vor. Doch war sie zufrieden, eine gleichgestimmte Seele zu finden, und trat bald zu unserer liebenswürdigen Waisen in ein inniges Verhältnis; sie fanden beide durch diese Freundschaft mehr Kraft, ihre gemeinsamen Leiden zu ertragen.

Aber die traurige Octavie genoß nicht lange diese angenehme Empfindung. Es war Justinen gesagt worden, daß die Ancienität keinen Einfluß auf die Erneuerungen habe; nur durch die Laune der Mönche oder durch die Furcht vor Nachforschungen seitens der Außenwelt veranlaßt, könnten sie ebenso gut nach Verlauf von acht Tagen wie von zwanzig Jahren stattfinden. Octavie befand sich kaum zwei Monate im Kloster, da verkündete ihr Jérome, daß für sie Ersatz eintreten müsse, obgleich er es[253] war, der ihr am meisten zu huldigen schien ... Sie schlief meistens bei ihm; noch am Abend vor dieser schrecklichen Katastrophe war dies der Fall gewesen. Doch geschah dies nicht ihr allein. Ein herrliches Mädchen, dreiundzwanzig Jahre zählend, das sich seit seiner Geburt im Kloster aufhielt und über jedes Lob erhaben war, dessen weiches, mitleidiges Wesen sich in merkwürdiger Weise mit einer romantischen Erscheinung verband, kurz, ein Engel, sollte am selben Tage das gleiche Schicksal erleiden; die Mönche beschlossen gegen ihre Gewohnheit, beide zusammen zu opfern. Die Schöne hieß Mariette und war, wie es hieß. Sylvestres Tochter. Zu dieser blutigen Zeremonie wurden die größten Zurüstungen getroffen; da unsere Heldin unglücklich genug war, sich unter der Zahl der an diesem Tage Geladenen zu befinden, wird man es uns verzeihen, wenn wir das letztemal auf der Schilderung der entsetzlichen Ausschweifungen dieser Ungeheuer bestehen.

Man kann sich leicht vorstellen, daß die Wahl Justinens sicherlich nur eine höchst raffinierte Grausamkeit war. Man kannte ihr außerordentlich empfindliches Wesen; man wußte, daß sie mit Octavia befreundet war; was brauchte es mehr, daß man ihre Anwesenheit beim Feste wünschte? Ebenso war man gegen Fleur-d'Épine, ein schönes, sanftes, zwanzigjähriges, ebenfalls mit Mariette innig befreundetes Mädchen vorgegangen; sie mußte ebenfalls an diesem Todesfest teilnehmen. Alle diese Züge dienen dazu, ein Gemälde des Seelenzustandes dieser Frevler zu entwerfen; nicht umsonst enthüllen wir sie.

Zehn andere Frauen im Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren, von großer Schönheit, sechs junge Lustknaben im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren, mit auserlesen hübschen Gesichtern, sechs Männer im Alter von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, die auf Grund ihrer langen oder dicken Glieder ausgewählt worden waren, endlich drei fünfunddreißig bis vierzigjährige Aufseherinnen für den inneren Dienst waren zu dem höllischen Opferfest, das sich vorbereitete, zugelassen.

Das Abendmahl fand, wie bereits erwähnt, in einem Keller statt, der sich neben denen befand, in denen die Opfer eingeschlossen waren. Man kam bei Sonnenuntergang zusammen; aber der Brauch verlangte es bei solchen Gelegenheiten, daß jeder Mönch sich im Vorhinein in seiner Zelle mit zwei Mädchen oder zwei Knaben, die er aus der Zahl der Geladenen wählte, unterhielt; Sylvester, der Vater des einen Opfers, wünschte sich mit Justine und einem anderen Mädchen, namens Aurora, die fast ebenso schön war wie unsere Heldin, einzuschließen.[254]

Wir wollen die Zeremonien, die bei diesem Vorbereitungsgenuß beobachtet wurden, genauer schildern.

Der Mönch, in einem Fauteuil sitzend, die Hosen aufgeknöpft, meistens vom Gürtel abwärts, hörte wohlgefällig eines der Mädchen an, die ihm, Ruten in der Hand haltend, sich nähern mußte, worauf sich folgendes Frage- und Antwortspiel entwickelte:

»Ruchloser, du bist also zum schrecklichsten Frevel entschlossen und der Mord wird dich besudeln?« – »Ich hoffe so.« – »Was! Scheusal, kein Rat, keine Vorstellung, keine Furcht vor dem Himmel oder den Menschen vermag diesen Greuel abzuwenden?« – »Es gibt keine göttliche oder menschliche Gewalt, die mich abzuhalten imstande wäre.« – »Aber Gott sieht dich!« – »Ich pfeife auf Gott.« – »Wartet nicht die Hölle deiner?« – »Ich trotze der Hölle.« – »Werden nicht vielleicht die Menschen eines Tages deine Untaten entdecken?« – »Ich spotte der Menschen und ihres Urteils; ich denke nur an den Frevel, ich liebe nur den Frevel, ich lebe nur für das Verbrechen, nur das Verbrechen soll alle Augenblicke meines Lebens kennzeichnen.«

Sodann mußte man auf die Art und Weise der Missetat und ihre Einzelheiten anspielen; so wurde Justine beauftragt, folgende Frage an Sylvester zu stellen: »Was! Elender, denkst du nicht daran, daß es sich um deine Tochter handelt, daß du sie opfern willst, ein so reizendes Geschöpf, das deinem Blute entsprossen ist?« – »Was kümmert mich dieses Band; es ist für mich ein Beweggrund mehr; ich wollte, sie wäre mir noch mehr verwandt ... sie wäre noch interessanter ... noch hübscher« u.s.w.

Sodann ergriffen die beiden Mädchen den Wüstling; die eine legte ihn über ihre Knie, während die andere ihn aus Leibeskräften peitschte; so wechselten sie ab. Während der Flagellation überhäuften sie ihn mit Beschimpfungen und Vorwürfen, wobei sie stets an das Verbrechen, das der Frevler plante, anspielten. Sowie das Blut von ihm troff knieten sie nacheinander ehrerbietig von seinem Gliede nieder und versuchten dieses durch Lecken in Erektion zu versetzen. Sodann hieß der Mönch seinerseits sie sich entkleiden und gab sich jedem ihm gutdünkenden Wollustakte hin, vorausgesetzt, daß er den Leib des Mädchens nicht entstellte, da dieses unversehrt der Versammlung vorgeführt werden mußte.

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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