Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 32

Seiten

hören, wie sie wieder die süßen Worte spricht, die die Lust Ihrer Kindheit bildeten. Sie würde Ihnen im Wachen und Träumen erscheinen und mit ihren blutenden Händen die Wunden öffnen, die Sie ihr zugefügt haben. Für Sie gäbe es von da ab keinen Glücksstrahl mehr auf Erden. Jedes Vergnügen wäre für Sie befleckt, alle Ihre Gedanken würden sich verwirren. Eine himmlische Hand, deren Macht Sie verkennen, würde an Ihren Tagen das Leben rächen, das sie zerstört haben, und ohne daß Sie die Frucht Ihres Verbrechens genießen könnten, kämen Sie an den tötlichen Gewissenbissen um.«

Justine brach bei diesen letzten Worten in Tränen aus. Sie kniete vor dem grausamen Bressac, der mit aus Wut und Verachtung gemischten Empfindungen zuhörte. Sie beschwor ihn bei allem was ihm heilig sei, einen solchen Plan fallen zu lassen. Aber sie kannte das Ungeheuer noch nicht, mit dem sie es zu tun hatte. Sie wußte noch nicht, daß alles, was die Tugend und das Zartgefühl in solchen Fällen vorbringen können, nur dazu dient, das Herz des Verbrechers wie mit Nadelstichen[74] weiter aufzustacheln, wußte noch nicht, daß solche ausschweifende Menschen selbst die Strafen mit Wollust genießen, die ihnen die menschliche Vergeltung auferlegt; daß sie das Schaffot als eine Art Ruhmesthron betrachten und darauf mit demselben Mut sterben, der sie beseelte, als sie ihre Verbrechen und Mordanschläge begingen. So sieht der Mensch auf der letzten Stufe wohlüberlegter Verrücktheit aus und auf ihr stand auch Bressac. Er erhob sich kalt: »Ich sehe wohl,« sagte er zu Justine, »daß ich mich in dir getäuscht habe. Das ärgert mich weniger um mein als um deinetwillen. Jedoch das schadet nichts, ich werde schon andere Mittel finden und du wirst viel verloren haben, ohne daß deine Herrin daraus Nutzen zöge!«

Diese Drohung gab den Gedanken Justines eine andere Richtung. Wenn sie auf das Verbrechen nicht eingehen würde, das man ihr vorschlug, setzte sie selbst sich der Gefahr aus und ihre Herrin würde doch unfehlbar ums Leben kommen. Wenn sie aber die Mitschuld auf sich laden wollte, schützte sie sich vor Bressacs Zorn und konnte sicher die Marquise auch retten. Diese Ueberlegung war das Werk eine Augenblickes und bestimmte sie dazu auf alles einzugehen. Aber da eine so rasche Sinnesänderung den Argwohn Bressac hervorgerufen hätte, zögerte sie noch einige Zeit und ließ sich von ihm seine Lehren noch einigemale wiederholen. Nun tat sie so, als ob sie nichts mehr zu erwidern wüßte, Bressac hielt sie für überzeugt und umarmte sie stürmisch. Welche Freude wäre das für Justine gewesen, wenn er sie aus anderen Gründen in die Arme geschlossen hätte. Aber dafür war es zu spät, denn das Betragen dieses jungen Mannes hatte in ihrem schwachen Herzen alle Gefühle für ihn vernichtet und sie sah jetzt in ihrem ehemaligem Idol nur mehr einen Verbrecher, der unwürdig war, auch nur für einen Augenblick darin zu herrschen.

»Du bist die erste Frau, die ich umarme,« sagte Bressac, indem er sie mit Feuer an sich presste, »du bist entzückend, mein teures Kind; so hat also ein Lichtstrahl der Philosophie deinen Geist erleuchtet? O, Justine, endlich siehst du klar und begreifst die Nichtigkeit des Verbrechens. Komm, du bist mein Engel und ich weiß nicht woran es liegt, daß ich nicht sogleich meinen Geschmack ändere.« In der Tat warf sie Bressac, der mehr durch die sichere Aussicht auf Verwirklichung seines Planes als durch die Reize Justines aufgeregt war, auf das Bett, schürzte sie, trotz ihres Sträubens bis über die Hüften auf und rief dann aus: »Teufel, da hätten wir den schönsten Popo der Welt, wenn sich nicht unglücklicherweise eine Scheide daneben befinden würde. Welch' unbezwingliches Hindernis!« Dann deckte er sie wieder zu und fuhr fort: »Komm, Justine, besprechen wir jetzt unsere Tat. Wenn ich dir zuhöre erwachen in mir Illusionen, aber wenn[75] ich dich ansehe, werden sie wieder zerstört.« Trotzdem stand sein Glied so steif, daß Justine es in die Hand nehmen und mit ihren hübchen Fingern befühlen mußte. »Meine tapfere Freundin,« setzte er fort, »du wirst also meine Mutter vergiften. Hier ist das Gift, das du in das Heilwasser werfen sollst, das sie jeden Morgen zur Erhaltung ihrer Gesundheit trinkt. Das Pulver ist sicherwirkend und hat keinerlei Geschmack. Ich habe schon tausende Male Versuche damit angestellt.« – »Tausende Male, mein Herr?« – »Ja, Justine, ich bediene mich häufig dieses Mittels, entweder weil ich mich mancher Leute entledigen will, die mir lästig fallen oder weil mir ihr Tod wollustige Genüsse bereitet. Du wirst es tun, Justine, ja, du mußt es tun. Ich schütze dich vor allen Folgen und gebe dir am Tage der Ausführung als Belohnung eine jährliche Rente von 2000 Talern.« Der Kontrakt wurde ohne Angabe der Gründe unterzeichnet und Bressac klingelte. Ein schöner Knabe erschien. »Was wollen Sie, gnädiger Herr?« – »Deinen Hintern, mein Kind. Ziehen Sie ihm die Hosen herunter, Justine, kitzeln Sie mein Glied und dann führen Sie es in das Loch ein!« Die Befehle Bressacs wurden befolgt, er fickte seinen Mann und entlud wie ein Wütender. »O, Justine,« sagte er beim hinausgehen, »diese Huldigung galt dir. Dein Altar konnte sie, wie du weißt, nicht empfangen, aber nur durch deine Zustimmung entflammte die Fackel und sie hat nur für dich gebrannt.«

Während dieser Vorbereitungen ereignete sich etwas so Seltsames, etwas, das so gut geeignet ist, die Seele unseres Ungeheuers zu enthüllen, daß wir nicht umhin können, unsere Erzählung einen Augenblick lang zu unterbrechen.

Am übernächsten Tage, nachdem der erwähnte verbrecherischer Vertrag abgeschlossen worden war, erfuhr Bressac, daß ein Onkel, an den er gar nicht gedacht hatte, ihm eine Rente von 50.000 Talern hinterlassen habe. »O Himmel,« sagte Justine zu sich, »straft die Hand des Ewigen auf diese Art den geplanten Anschlag?« Aber bald bereute sie diesen Zweifel an der Vorsehung, sie kniete nieder und bat um Verzeihung. Ihre Hoffnung richtete sich nunmehr darauf, daß dieses unerwartete Ereignis wenigstens die Pläne Bressacs ändern würde. Aber wie groß war ihr Irrtum! »O, meine teure Justine,« rief er aus, als er noch am selben Abend in ihr Zimmer trat, »wie überschüttet mich doch das Glück! Ich habe dir schon oft gesagt, daß das Verbrechen

Seiten

Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: