Seiten
nur Vorteile mit sich bringt.« – »Wie, mein Herr?« fuhr Justine fort, »diese Erbschaft, auf die Sie nicht zählten, sie wurde ... ja, mein Herr, Ihre Mutter hat mir Alles erzählt; ihr Onkel hätte das Geld Ihrer Mutter zukommen lassen, wenn sie ihn nicht anders bestimmt hätte. Sie wissen, er liebte Sie nicht. Sie allein überredete ihn zu dieser letzten Verfügung und Ihre Undankbarkeit ...«[76] – »Du machst mich lachen,« unterbrach sie Bressac, »wozu die Dankbarkeit? Wirst du denn nie begreifen, Justine, daß man dem Wohltäter nichts schuldet, weil er die Befriedigung in seiner Tat findet? Warum soll ich mich jemandem für das Vergnügen verpflichtet fühlen, das er geruhte, sich selbst zu bereiten? Und ich sollte meine Pläne deswegen ändern? O, Justine, wie schlecht du mich kennst! Soll ich dir noch mehr sagen. Der Tod jenes Onkels ist meine Arbeit. Ich versuchte, das für die Schwester bestimmte Gift zuerst an dem Bruder, Nein, nein, Justine, beeilen wir uns, morgen, höchstens übermorgen möchte ich dir schon ein Viertel deiner Rente auszahlen können.« Justine schauderte, verbarg aber ihre Bestürzung, denn sie sah, daß es bei einem solchen Manne klug sei, ihre Rolle weiter zu spielen. Es blieb ihr jetzt noch der Weg einer Anzeige offen; aber nichts in der Welt hätte die gefühlvolle Justine dazu bestimmen können, das eine Verbrechen durch ein neues zu verhindern. Sie beschloß daher, ihre Herrin zu warnen. Dies schien ihr der beste Ausweg.
»Madame,« sagte sie zu ihr am nächsten Tage nach der Besprechung mit dem jungen Grafen, »ich habe Ihnen von einer ungemein wichtigen Sache Mitteilung zu machen. Aber so sehr auch Ihr Interesse dabei im Spiele steht, müßte ich doch schweigen, wenn Sie mir nicht Ihr Wort im voraus gäben, Ihrem Sohne gegenüber nichts merken zu lassen. Sie können die Mittel ergreifen, die Ihnen nötig dünken, aber Sie dürfen kein Wort davon sprechen.«
Frau von Bressac, welche glaubte, es handle sich um eine der gewöhnlichen Verfehlungen ihres Sohnes, gelobte Stillschweigen und Justine erzählte Alles. »Der Schuft!« rief die unglückliche Mutter aus. »War ich nicht immer um sein Wohl bedacht. Ah, Justine, beweise mir die Wahrheit, damit in meinem verblendeten Herzen jedes Gefühl erstickt werde, das ich noch für dieses Ungeheuer bewahrt habe.« Nun zeigte Justine das Gift: einen besseren Beweis konnte man nicht geben. Aber Frau von Bressac, die noch auf eine Täuschung hoffte, wollte zuerst eine Probe damit machen. Sie gab einem Hund ganz wenig davon ein und das arme Tier starb zwei Stunden nachher unter schrecklichen Krämpfen. Nun konnte Frau von Bressac nicht länger zweifeln und faßte ihren Entschluß. Sie befahl Justine ihr den Rest des Giftes zu geben und schrieb auf der Stelle einem Verwandten, Herrn von Souseval, sich mit einem Haftbefehl ausrüsten zu lassen und dann sobald als möglich damit herzukommen, um sie von einem Ungeheuer zu befreien, das sich so grausam gegen ihr Leben vergehen wollte.
Jedoch das scheußliche Verbrechen sollte doch seinen Gang nehmen. Das Tier, das man zur Probe benützt hatte, verriet alles. Bressac hörte das Winseln und fragte, was man[77] ihm getan habe. Man konnte ihm nichts Bestimmtes erwidern und von diesem Augenblick an wuchs sein Argwohn. Er sagte kein Wort, schien aber sehr erregt. Justine teilte ihrer Herrin davon mit, die jedoch nichts anderes ausdenken konnte, als den Eilboten noch mehr zu drängen und den Gegenstand der Sendung wenn möglich noch besser zu verbergen. Sie sagte ihrem Sohne, daß sie an Herrn von Souseval schickte, damit er die Erbschaft des Onkels in Empfang nehme, denn wenn niemand da sei, könnten leicht Prozesse entstehen. Sie fügte hinzu, sie haben ihren Verwandten überdies gebeten herzukommen um ihr von dem Ergebnis Mitteilung zu machen.
Aber Bressac konnte zu gut in den Mienen seiner Mutter und Justines bemerken, was vorging. Unter dem Vorwand jagen zu wollen entfernte er sich aus dem Schloß. Er legte sich auf die Lauer nach dem Eilboten, fing ihn ab und da dieser dem Sohn mehr zugetan war, wie der Mutter, machte er keine Schwierigkeiten und gab die Brieftasche heraus. Bressac überzeugte sich nun von dem Verrat Justines, gab dem Eilboten 100 Lonis mit dem Befehl, niemals wieder zu seiner Mutter zurückzukehren und kehrte rasend vor Zorn nach dem Schloß zurück. Dort schickte er die ganze Dienerschaft nach Paris und behielt nur Jasmin, Josef und Justine zurück. Die Tore wurden geschlossen, die Riegel vorgeschoben und Wachthunde an allen Eingängen angebunden.
»Ein großes Verbrechen ist soeben begangen worden,« sagte Bressac, »und ich muß die Urheber herausfinden. Sie werden alles erfahren, meine Freunde, sobald ich den Schuldigen herausgefunden haben werde. Scheußliches Geschöpf,« fuhr der junge Mann fort, indem er an Justine herantrat, »du hast mich verraten. Aber du wirst selbst in die Grube fallen, die du mir gegraben hast. Weshalb versprachst du! mir den Dienst, den ich von dir verlangte, da du doch die Absicht hattest, mich zu hintergehen? Und wieso konntest du glauben, tugendhaft zu handeln, indem du die Freiheit und selbst das Leben deines Wohltäters aufs Spiel setztest? Du hättest dich weigern, sollen, Hure, und nicht zustimmen dürfen, um mich dann zu verraten. Was hast du durch deine Falschheit getan, dummes Ding? Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, ohne das deiner Herrin zu retten; denn sie wird trotzdem sterben und zwar vor deinen Augen. Ich will dich überzeugen, Justine, daß der Weg der Tugend nicht immer der beste ist.« Bressac eilte jetzt zu seiner Mutter. »Sie sind gefangen, Madame,« sagte das Ungeheuer, »vielleicht wäre es für Sie, die Sie doch von meinem Haß und Plänen wußten, besser gewesen, Sie hätten einfach die bittere Pille hinuntergeschluckt. Sie wollten einem sanften Tod entgehen und haben nun einen grausamen zu erwarten. Verstellen Sie sich nicht länger, Madame,« – »Barbar, wessen[78] beschuldigst du mich?« – »Lesen Sie Ihren Brief.« – »Mußte ich mich nicht verteidigen, wenn du nach meinem Leben trachtetest?« – »Nein, du bist nur ein unnützes Wesen auf Erden. Dein Leben gehört mir und das meinige ist heilig.« – »O, Schurke, die Leidenschaft verblendet dich.« – »Sokrates trank ohne Widerstreben das Gift, das man ihm reichte. Auch dir hat man welches angeboten;