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haben. Sind solche Triumphe aber etwas wert? O, mein Kind, es gibt nichts Süßeres als die sinnlichen Freuden, Ein Augenblick im Schöße der Liebe taugt mehr als tausend Jahre der Tugend. Gib nach, Justine. Auch deine Eitelkeit wird befriedigt werden. Rodin zieht dich allen Anderen hier vor. Wiegt dieser süße Sieg der Eigenliebe nicht alle der Tugend gewidmeten Entbehrungen auf? Aber willst du mir vielleicht von der Selbstbefriedigung sprechen? Ah, Justine, welch ein trauriger Genuß ist das! Wie tief steht diejenige, die darin ihre Freude sucht, unter dem Wesen, das seine Glückseligkeit nur im Schoße der Ausschweifung findet. Koste doch einmal von den Vergnügungen, gegen die sich deine Vorurteile erheben, und du wirst ohne sie nicht mehr bestehen wollen. Mein Bruder betet dich an. Er würde Alles für dich tun. Vergißt du denn, was er bereits getan hat? Ist es nicht die erste Aufgabe einer gefühlvollen Seele, dankbar zu sein? Du vernachlässigst diese heilige Pflicht, Justine, wenn du dich deinem Wohltäter entziehst.«
Allein nichts konnte dieses engelsgleiche Wesen überzeugen.[99]
Sie fuhr so lange fort, ihren Wirten Widerstand entgegen zu setzen, bis sich der Verbrecher endlich zu einer höllischen List entschloss, wie sie nur seinem niederträchtigen Gehirn entspringen konnte.
Mittels eines Loches, das er in eine Mauer von Justines Zimmer gebohrt hatte, konnte er bemerken, daß dieses reizende junge Mädchen in den Tagen der großen Hitze nackt zu schlafen pflegte. Rodin ließ nun rasch und im Geheimen eine Falltüre herrichten, durch die Justines Bett in das höher gelegene Zimmer gehoben werden konnte. Er begab sich eines schönen Abends in dieses Zimmer und sobald er Justine eingeschlummert glaubte, ließ er die Falltüre spielen. So befand sich unser unglückliches Mädchen ganz nackt und ohne Verteidigungsmittel im wohlverschlossenen, wohlverriegelten Machtbereich des Verbrechers.
»Ah, endlich habe ich dich, Schelmin,« rief er aus und warf sich auf seine Beute, »nun wirst du mir nicht mehr entschlüpfen!«
Im Zimmer waren sechs Kerzen aufgestellt, wodurch der Hurenkerl in der glücklichen Lage war, den vollendeten Körper sowohl küssen als auch sehen zu können. Wir brauchen seinen Zustand nicht weiter zu beschreiben, denn man kann sich leicht sein Vergnügen vorstellen, endlich sein Ziel erreicht zu haben. Trotzdem jedoch konnte er Justines nicht Herr werden. Sie war durch ihre Tugend stärker wie er, leicht und behend wie ein Aal entglitt sie seinen Armen und öffnete hilferufend ein Fenster. Man denkt nicht an Alles, wenn man geil ist, und so hatte Rodin gerade an diese Gefahr vergessen. Das Fenster ging aber gerade nach dem Schlafraum der jungen Mädchen und so konnte ihm diese Nachlässigkeit das Leben kosten.
»Halt ein, Unglückliche!« rief er, »ich will dir aufriegeln, aber sprich kein Wort. Um Himmelswillen, stürze mich nicht ins Verderben!« – »Gut, so öffnen Sie mir die Türe,« sagte Justine; »sobald sie offen ist, höre ich auf zu schreien.« Rodin mußte gehorchen und so wurde nochmals ein Verbrechen abgeschlagen, dessen Ausführung deshalb aber noch nicht aufgegeben wurde.
Nun war der Anstoß für Justine gegeben, das Haus Rodins zu verlassen, und sie hätte sicherlich die Gelegenheit benützt, wenn sie sich damals nicht gerade im wichtigsten Stadium von Rosaliens Bekehrung befunden hätte. Bevor wir hier weitergehen, müssen wir aber ein wenig zurückgreifen.
Justine konnte freier aus und eingehen wie Rosalie und so fand sie Gelegenheit, ihren Bekehrungsplan einem jungen Priester des Pfarrsprengels mitzuteilen. Abbé Delue ein eifriger Diener des Herrn, hatte freudig den erhabenen Gedanken aufgegriffen, der Kirche ein sanftes Schaf zurückzubringen, das man ihr entführen wollte. In den ersten drei Wochen nach seiner Begegnung mit Justine fanden auch schon fromme Konferenzen statt, und zwar im Zimmer Rosaliens selbst. Die Absicht Rosaliens war es, eines Morgens in den Schoß der Kirche zu flüchten und ihr ferneres[100] Leben in einem Stifte zu verbringen. Aber der Himmel erlaubte nicht, daß die Tugend nochmals über das Laster triumphiere, eine Unvorsichtigkeit verriet Alles und das Verbrechen trat wieder in seine Rechte.
Justine wohnte gewöhnlich nicht den feierlichen Unterrichtsstunden an. Sie stand Wache und warnte, wenn Rodin nahte. Eines schönen Tages glaubten sich aber alle Drei in Sicherheit und Justine mußte an der Verzückung ihrer Freundin teilnehmen. Unsere drei Engel schwangen sich gerade gemeinsam gegen das Himmelsgewölbe, als der mehr irdischen Dingen zugewandte Rodin; mit dem Wunsche eintrat, seine Tochter in den Hintern zu ficken. Er glaubte sie im Bette anzutreffen und hielt schon sein Glied in der Hand, aber wie groß war sein Erstaunen, als er sie zu Füßen eines Priesters und mit einem Kreuz in der Hand sitzen sah. Einen Augenblick lang glaubte er zu träumen. Erschreckt taumelte er bald vorwärts, bald nach hinten, und erst langsam kam er zu sich. »Sie sehen, Schwester, wie man mich verrät,« sagte er zu Célestine, die mit Martha nachfolgte, »es ist leicht zu erraten, Justine, wem ich diesen niederträchtigen Verführungsplan zu verdanken habe. Gehen Sie hinaus, ich will Ihnen nichts nachtragen, denn ich habe Sie So lieb, daß, hätten Sie selbst nach meinem Leben getrachtet, ich Ihnen verzeihen würde. Aber du, Verbrecher,« sagte er und fasste den Kirchenmann beim Kragen, »du unwürdiger Anhänger einer ekelhaften Religion, du wirst mir aus diesem Haus nicht so leicht entwischen, wie du hereingekommen bist. Du wirst in einem Kerker dafür büßen, die philosophischen Wahrheiten, die ich in diesem Hause verbreite, mit deinem unreinen Atem beschmutzt zu haben. Gehen Sie hinaus, Rosalie, gehen Sie zu Ihrer Tante und rühren Sie sich von dort nicht ohne meine Erlaubnis weg.« Nun zerrte er mit Hilfe seiner Schwester und der Erzieherin den Abbé in ein Kellerloch, in das die Sonne noch niemals geschienen hatte, ging dann zu Rosalie und sperrte sie in ein anderes Verließ ein, Hierauf lief er in das Dorf. »Man hat mir meine Tochter entführt,« rief er aus, daß es jeder hörte, »und ich habe Verdacht auf den Abbé Delue!« Man eilte nach seiner Wohnung- fand den Abbé aber nicht zu Hause. »Nun ist Alles klar,« sagte Rodin, »ich hatte bis jetzt nur den Verdacht, nun aber sehe ich fürchterliche Wahrheit. Allein ich habe Schuld, ich habe Alles kommen sehen und hätte die Beiden schon am ersten Tage auseinanderbringen müssen!«
Alles ging ihm in die Falle. Rodin war