Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 44

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durch diese List Herr über den Priester und er öffnete den Kerker bloß, um ihn in eine Gruft zu verwandeln. Den Leichnam Delues nagelte er an die Wand und mit einem eines solchen Ungeheuers wohl würdigen Raffinement brachte er jetzt seine Tochter an diesen Schreckensort. »Ich will, daß du deinen Verführer immer vor Augen haben sollst,« sagte er zu ihr, »bis du dein Verbrechen mit deinem Blute abgewaschen hast.«[101]

So standen die Dinge, als Justine, die sich außer aller Gefahr wähnte, das Unmögliche unternahm, etwas Gewisses über das Los ihrer Freundin zu erfahren; sie benützte jeden Augenblick, den sie sich unbeachtet glaubte, um die; entlegensten Winkel des Hauses zu durchstöbern. Endlich glaubte sie im Hintergrunde eines sehr finsteren Hofes Stöhnen zu vernehmen. Sie trat hinzu, aber vor der engen Türe lag ein Haufen Holz. Neues Wehklagen. »O, Justine! Bist du es?« – »Ja, Teuerste,« entgegnete diese, denn sie erkannte die Stimme Rosaliens, »ja, es ist Justine und der Himmel schickt sie dir.« Bald erfuhr nun Justine, in welcher traurigen Lage Rosalie sich befände, daß ihr Vater den Abbé ermordet habe, daß sie aber nur an den Messerstichen beurteilen könne, daß Delue viel gelitten habe. »Jetzt komme ich an die Reihe,« fügte Rosalie hinzu, »gestern am Abend kam mein Vater mit dem Dorfarzt herein, mit dem er sehr befreundet ist, und beide haben sich an mir schamlos vergangen. Mein Vater wollte sogar (etwas, was ihm noch nie durch den Kopf gegangen ist), daß ich mich den zügellosen Leidenschaften seines Kollegen hingeben solle, ja er hielt mich sogar während dieser schauderhaften Szene fest. Es sind ihnen aber auch Worte entschlüpft, die mich an meinem Schicksal nicht mehr zweifeln lassen. O Justine, ich bin verloren, wenn es dir nicht gelingt, mich zu befreien Alles beweist mir, daß diese Ungeheuer mit mir einen ihrer Versuche anstellen wollen.«

»Himmel,« rief jetzt Justine aus, »haben sie derlei schon einmal getan?« – »Ich habe starke Gründe, die dafür sprechen. Wenn elternlose Kinder hier sind ...« – »Nun, was dann? Du machst mir Furcht!« – »Sie verschwinden oft, ohne daß man wüßte, was aus ihnen geworden ist. Es ist noch keinen Monat her, daß ein wunderschönes vierzehnjähriges Mädchen auf diese Art verschwand, und ich erinnere mich wohl, daß ich an diesem Tage erstickte Schreie aus dem Kabinette meines Vaters hörte. Am nächsten Tage sagte man, daß sie davongelaufen sei. Einige Zeit nachher geriet eine fünfzehnjährige Waise auf gleiche Art in Verlust und man hörte von ihr nichts mehr. Mit einem Wort, ich zittere, wenn es dir nicht bald gelingt, mich aus diesem Gefängnis zu befreien.«

Justine fragte nun ihre Freundin, ob sie nicht wüßte, wo die Schlüssel zu diesem Keller hingen. Rosalie verneinte, trotzdem glaubte sie nicht daran, daß sie jemand bei sich trüge. Nun suchte Justine darnach, aber es war vergeblich und die Stunde des Abschieds nahte, ohne daß sie dem armen Kinde eine andere Hilfe zuteil werden lassen konnte, als ein paar Trostworte und viel Tränen. Justine mußte schwören, am nächsten Tage wieder zu kommen und sie versprach auch, falls sie bis dahin noch keine Abhilfe gefunden hätte, mit ihren Klagen bis zu Gericht gehen zu wollen, um die unglückliche Rosalie um jeden Preis ihrem schrecklichen Schicksal zu entziehen.[102]

Rombeau, der Arzt, speiste gerade mit Rodin zu Abend, als Justine zurückkehrte. Zu allem entschlossen, versteckte sie sich in einem Nebenzimmer und hier konnte sie sich durch das Gespräch der beiden Verbrecher bald von dem Los überzeugen, das ihre Freundin zu erwarten hatte.

»Ich bin verzweifelt,« sagte Rodin zu seinem Kollegen, »daß du bei meiner Rache nicht anwesend warst, denn du kannst dir das Vergnügen nicht vorstellen, das ich dabei empfand.« – »Man konnte dich auch unmöglich schwerer beleidigen ... Deine Tochter zu seinen Füßen! Der Verbrecher! Er wollte ja bloß deine Tochter ficken, du kannst davon überzeugt sein!« – »Ich glaube, daß ich ihm das eher verziehen hätte. Der Niederträchtige! Er hätte sie beichten lassen, sie kommuniziert, er hätte dieses Geschöpf mit einem Wort verdorben.« – »Wie glücklich kannst du sein, daß du sie überrascht hast. Und wie starb er?« – »Ah, das war ein einzigartiges Schauspiel. Martha und meine Schwester halfen mir. Sie leckten und kitzelten ihn, denn ich wollte ihn erschöpft in die andere Welt schicken.« – »Und dann?« – »Dann habe ich ihn gekreuzigt, damit der Diener auf dieselbe Weise stürbe wie der Herr. Während der vier Stunden, während welcher er auf dem Kreuze litt, habe ich ihn nun in jeder Weise gefoltert. Ich habe ihn da gefickt und gepeitscht und habe ihn schließlich mehr als zwanzigmal mit meinem Messer durchstochen. O, wenn du nur dagewesen wärest. Aber ich mußte mich beeilen, denn man atmet erst ruhig, wenn man; seinen Feind umgebracht hat.« – »Und deine Tochter? Kommt sie nicht auch an die Reihe? Bedenke, wie nützlich ein solches Ding der Wissenschaft werden kann. Bedenke, Rodin, welchen Fortschritt es bedeuten würde, könnten wir an einem eines gewaltsamen Todes gestorbenen fünfzehnjährigen Mädchen die Probe vornehmen. Wir benötigen dazu unbedingt ein junges Mädchen, denn im reifen Alter können wir nichts mehr beobachten. Die Menstruationen zerreißen das Jungfrauenhäutchen und alle Nachforschungen werden ungenau. Deine Tochter ist gerade im richtigen Alter, sie hat noch nicht die Regeln gehabt und ist erst von hinten entjungfert. Ich hoffe, du wirst dich bald entschließen.«

»Teufel, ich bin es,« erwiderte Rodin, »solche nichtige Ueberlegungen dürfen den Gang der Wissenschaft nicht hemmen.« Alle unsere großen Vorgänger haben Versuch in Spitälern angestellt und mein Lehrer secierte jedes Jahr mehrere Personen, die noch lebten. Mehr als 20000 Menschen wurden auf diese Weise durch das Opfer von einigen wenigen gerettet. Aber auch alle Künstler haben so gedacht. Als Michelangelo einen Christus natürlich wiedergeben wollte, machte er sich keine Sorge daraus, einen jungen Mann zu kreuzigen und seine Qualen zu benützen. Die erhabene »Büßende Magdalena« des Guido Reni wurde nach einem schönen Mädchen gearbeitet, das seine Schüler vorher auspeitschen mußten. Jedermann weiß, daß sie daran starb, aber was[103] liegt daran. Ist denn der Mord, den das Gesetz fordert, etwas anderes als Hinopferung eines Einzelnen, um Taufende zu retten? »Man müßte uns im

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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