Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 45

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Gegenteil Dank wissen, daß wir die Natur zugunsten der Menschheit besiegen.« – »O, der Sieg ist nicht eben groß,« erwiderte Rombeau, »und er wird in den Augen derjenigen kein Verdienst vorstellen die den Kitzel, der durch solche Handlungen hervorgerufen wird, kennen.« – »Das leugne ich gar nicht; denn jeder Schmerz, den ich meinem Nächsten zufüge, bringt meine Samentierchen derartig in Aufregung, daß ich ohne meinen Willen einen Ständer bekomme und mehr oder weniger rasch entlade, ohne daß mich jemand dabei berühren müßte. Du erinnerst dich, daß ich neulich ohne jede Berührung fertig wurde, als wir zusammen an dem Knaben arbeiteten, dem wir die rechte Seite öffneten, um die Zuckungen des Herzens beobachten zu können. Unfreiwillig verspritzte ich damals meinen Samen, als ich ihn dabei tötete und du mußt dich noch entsinnen, daß er mir schon wieder stand, ehe ich noch den letzten Tropfen verloren hatte. Aber streiten wir uns nicht länger, da ja einer des andern Neigung wohl kennt.« – »Ich gestehe,« sagte Rombeau, »daß ich dieselbe Erregung empfinde, aber ich begreife nicht den Widerspruch, der darin liegt, daß die Natur dem Menschen den Wunsch einflößt, ihre Geschöpfe zu zerstören.« – »Darüber bin ich vollkommen im Klaren,« sagte Rodin, »denn die Teile, die bei unserem, Zerstörungswerk zerfallen, geben ihr die freudige Möglichkeit, neues zu schaffen.« – »So ist der Mord ein Vergnügen?« – »Ich gehe weiter: er ist eine Pflicht. Er ist eines der Mittel, deren sich die Natur bedient, um uns zu ihrem Ziel zu geleiten. Nur dadurch, daß wir diesem Leben einen lächerlichen Wert beilegen, ist es möglich, daß man überhaupt über diesen Gegenstand anders denken kann. Nur, weil wir glauben, daß das Leben der Güter höchstes ist, bilden wir uns dummerweise ein, ein Verbrechen zu begehen. Aber das Aufhören dieses Daseins ist nicht mehr ein Uebel, als das Leben selbst etwas Gutes ist. Denn wenn nichts stirbt, nichts zerstört wird und wenn nichts in der Natur verloren geht, sondern sich nur unter anderer Form wieder zusammenschließt, so kann doch nur ein Dummkopf im Morde ein Verbrechen entdecken.«

»Vollkommen richtig,« sagte Rombeau, »aber ich muß gestehen, daß ich fürchtete, du könntest wegen der verwandtschaftlichen Bande, die dich mit diesem Mädchen verknüpfen, zögern.« – »Pah, welche Macht könnte die Bezeichnung ›Tochter‹ über mein Herz besitzen! Du kannst überzeugt sein, mein Freund, daß ich diesem aufgegangenen Samen denselben Wert beimesse, wie dem, den ich in die Scheide einer Hure verspritze. Ich mache mit dem einen nicht mehr Geschichten wie mit dem andern. Außerdem hat man das Recht, sein Geschenk wieder zurückzunehmen und bei fast allen Völkern hatte der Vater jede Gewalt über seine Kinder. Die Perser, Medier, Armenier und Griechen befriedigten[104] sich an ihnen in ausgiebigster Weise. Die Gesetze Lykurgs, des Musters eines Gesetzgebers, ließen dem Vater nicht nur jedes Recht über seine Kinder, sondern verdammten sogar jene zu Tode, die die Eltern nicht aufziehen wollten oder die mißgeformt waren. Ein großer Teil der wilden Völkerschaften tötet seine Kinder sofort nach der Geburt. Fast alle Frauen Asiens, Afrikas und Amerikas lassen sich die Kinder abtreiben, ohne daß das eine Schande für sie bildete. Cook fand diesen Brauch auch auf allen Inseln der Südsee. Romulus erlaubte den Kindermord. Die Zwölftafelgesetze gestatten ihn ebenfalls und die Römer konnten bis auf Konstantin ihre Kinder straflos aussetzen oder töten. Aristoteles empfahl dieses sogenannte Verbrechen an und die Stoiker betrachteten es als ein lobenswertes Vorgehen. Es ist heute noch in China gebräuchlich und man findet täglich in den Straßen und Kanälen Pekings mehr als zehntausend von den Eltern getötete oder abgelegte Wesen, auch kann dort ein Vater sich seines Kindes täglich entledigen, wenn es auch erwachsen ist, er braucht es bloß den Richtern zu übergeben. Nach den Gesetzen der Parther konnte man seinen Sohn, seine Tochter, seine Schwester und seinen Bruder töten, ohne daß man der mindesten Strafe ausgesetzt war, aber auch bei den Galliern fand Cäsar diese Sitte. Mehrere Stellen im Pentateuch lassen erkennen, daß der Kindermord bei dem Volke Gottes erlaubt war und Gott selbst befahl ihn Abraham an. Aber wie? Die Regierung hält sich ermächtigt, zwanzig- oder dreißigtausend ihrer Bürger an einem Tage hinzuopfern und ein Vater sollte nicht Herr über das Leben seiner Kinder sein können, wenn es ihm gefällt? Welch ein Unsinn und welche Inkonsequenz. Die Herrschaft des Vaters über seine Kinder ist die einzig wahre, sie hat einzig und allein jeder anderen zum Vorbild gedient, aus ihr allein spricht die Stimme der Natur. Beispiele in Hülle und Fülle sprechen dafür. Zar Peter zweifelte nicht an diesem Recht und übte es auch aus. Er erließ eine öffentliche Bekanntmachung, laut welcher jeder Vater nach göttlichen und menschlichen Gesetzen über Leben und Tod seines Kindes frei verfügen konnte, ohne daß es eine Berufung gegeben hätte. Nur in unserem verrohten Frankreich glaubte eine lächerliche und falsche Zärtlichkeit dieses Gesetz abschaffen zu müssen. Nein,« fuhr Rodin fort, »nein, mein Freund, ich werde es nie begreifen, daß ein Vater, der das Leben gegeben hat, es nicht auch ebenso unbekümmert nehmen kann. Ja, ich gehe sogar weiter: Ich bin vollständig davon überzeugt, daß ein Vater und eine Mutter nicht besser handeln können, als wenn sie sich ihrer Kinder entledigen; denn wir haben in der Welt keine größeren Feinde als sie und wir müssen sie zur Seite schaffen, ehe sie uns schaden können. Außerdem vermehren sich die Menschen in Europa, zu stark, und auch von diesem Gesichtspunkte ist die Ermordung seiner Kinder eine vorzügliche Handlung. Was sollte mich aber zurückhalten? Die Menschlichkeit? O, mein Freund, ich kenne keine falschere Tugend.[105] Die Menschlichkeit ist eine Lebensäußerung, die, wenn man sie in dem Sinne ausüben würde, den ihr die Moralisten geben, bald das Weltall in Verwirrung brächte.«13

»Ah,« sagte Rombeau, entzückt von diesen scheußlichen Lebensregeln, »ich stimme dir bei, mein Teuerster. Ich bin von deiner Klugheit begeistert, aber deine Gleichgültigkeit setzt mich in Erstaunen. Ich glaube, du wärest in deine Tochter verliebt.« – »Ich, in eine Frau verliebt? ... Ah, Rombeau, ich dachte, du würdest mich besser kennen, du, der meine Neigungen kennt, der wissen müßte, daß ich vor diesem Geschlecht

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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