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Allein Rosalie verabscheute die Greueltaten, denen sie sich unterwerfen mußte, und sie konnte man eher bekehren, wenn man ihr nur erst die obersten Gesetze der Religion beigebracht hätte. Dazu aber hätte man einen Priester ins Vertrauen ziehen müssen, und Rodin erlaubte weder, daß einer ins Haus käme, noch daß Rosalie ohne Begleitung ausgehe. So mußte sie warten, bis sich eine Gelegenheit bieten würde und konnte die Zwischenzeit nur dadurch ausfüllen, daß sie ihre Schülerin belehrte und in ihr die Neigung für die Tugend und die Religion zu erwecken trachtete.
»O, Fräulein,« sagte sie eines Tages zu ihr, »wie kann der Mensch so verblendet sein und bestreiten, daß er zu einem höheren Zwecke geboren sei. Was gibt es aber auf Erden, das dem Ewigen mehr gefiele als die Tugend, zu der er selbst das Beispiel gibt? Kann der Schöpfer so vieler Wunden andere Gesetze als das Gute haben? Und könnten ihm unsere Herzen gefallen, wenn in ihnen nicht Güte, Wohltätigkeit und Keuschheit die Grundelemente bilden würden? Ich glaube,« fuhr unsere gläubige Waise fort, »dem gefühlvollen Menschen genügt schon die Dankbarkeit, um sein Herz in Liebe für das höchste Wesen schlagen zu lassen. Ist es nicht eine Gnade von ihm, daß wir die Schönheiten des Weltalls genießen dürfen? Und sind wir ihm nicht für eine solche Wohltat zu Dank verpflichtet? Ist es denn nicht süß, zu empfinden, daß man sich dem höchsten Wesen gefällig macht nur dadurch, daß man sich der Tugend hingibt, die uns doch auch schon auf Erden beglückt? Dieselben Mittel, die uns in Stand setzen,[97] mit unserem Nächsten friedlich zu leben, sichern uns de Wiedergeburt im Schoß des Ewigen zu. Ah, Rosalie, wie töricht sind diejenigen, die uns diese Hoffnung rauben wollen. Sie sagen lieber: man täuscht uns, statt zu sagen: wir täuschen uns selbst. Der Gedanke an die Verluste, die sich so vorbereiten, würde sie in ihrer Wollust stören. Es erscheint ihnen weniger schrecklich, die Hoffnung auf den Himmel zu verlieren, als sich dem zu unterwerfen, was sie dorthin bringen könnte. Aber wenn die Leidenschaften in ihnen schwächer werden, wenn der Schleier zerreißt und ihr verderbtes Herz nicht mehr zweifeln kann, dann muß die gebieterische Stimme, die sie in ihrem Wahn nicht beachteten, fürchterlich für sie werden! An diesem Zustand muß man den Menschen beurteilen, um seine Lebensführung zu bemessen. Wir wünschen ihn uns selbst denn herbei; denn er tröstet uns, und von ihm aus kann man alles Uebrige ableiten. Wenn es einen Gott gibt, dann verdient er unsere Anbetung, und die Grundlage für diesen Gottesdienst ist unwiderleglich die Tugend.«
So wurde die gottesgläubige Rosalie bald zur Christin, und bloß die einzige Frage blieb unbeantwortet: wie man zur Theorie die Praxis hinzufügen könnte. Rosalie trug mit Ekel die Fesseln, die ihr Rodin auferlegt, aber sie wußte, daß mit ihm nicht zu spassen war. Auch zeigte er sich unbekehrbar. Keines der religiösen und moralischen Systeme Justine konnte gegen ihn aufkommen. Gelang es ihr jedoch nicht, ihn zu überzeugen, so hatte sie doch wenigstens die Festigkeit, sich auch nicht erschüttern zu lassen.
Denn, während Justine die Tochter des Hauses zu bekehren trachtete, war Rodin seinerseits ständig bemüht, aus Justine einen Proselyten zu machen. In Rodins Hause befand sich ein Anstandsort, der ihm dazu diente, die Körper aller derjenigen seiner Schüler betrachten zu können, die er entweder verführen wollte, oder denen gegenüber weiter zu gehen er nicht wagte. Den Schlüssel zu diesem sehr elegant ausgestatteten Kabinett gab man nur denjenigen, deren Reize man kennen lernen wollte. Der Sitz war derart eingerichtet, daß die Person, die darauf saß, ihren ganzen Hinterteil den Blicken Rodins darbot, der bequem in einem anschließenden Zimmer zuschaute. Argwöhnte das Kind etwas und stand es auf, so schloß sich sofort eine federnde Falltür ohne den mindesten Lärm. Sowie es sich beruhigt wieder niedersetzte, öffnete sich wieder die Tür und Rodin konnte mit Leichtigkeit seine Nase bis zum Popo vorstrecken und sehen wie es entleerte. Wenn ihm das, was er gesehen hatte, gefiel, – dann wurde es bald zur Auspeitschung und nach der Auspeitschung zur Sodomie verdammt.
Man kann sich leicht vorstellen, daß der Schlüssel zu diesem magischen Kabinett bald Justine in die Hand gegeben wurde und daß unser von dem sich bietenden Anblicke entzückter Hurenkerl von da ab noch energischer auf den Besitz dieser Reize losging.[98] »O, Himmel, Schwester!« rief er zu Célestine aus, als er wieder einmal eine derartige Besichtigung vorgenommen hatte, »gerechter Himmel! Du kannst dir keine Vorstellung von den göttlichen Reizen dieses Mädchens machen! Nein! Es gibt keinen Popo, der dem ihren ähneln würde. Sie verdreht mir den Kopf, ich bin außer mir. Ich muß sie besitzen, Schwester, koste es was es wolle. Versuche du und verlocke sie. Aber sieh zu, daß du Erfolg hast, sonst würde in mir eine Wut entstehen, die mich zu Ausschreitungen treiben könnte!«
Célestine setzte Alles in Bewegung. Allein es vergingen vierzehn Tage, ehe die Sirene eine andere Gewißheit erlangt hätte als die, daß alle ihre Pläne fehlschlugen.
»Du tust sehr schlecht daran,« sagte sie eines Tages zu Justine, »einem gewissen Glück eine ungewisse Hoffnung; vorzuziehen. Wie kannst du dir mit deiner Geistesschärfe einbilden, daß die Reinheit der Sitten, von der du hier so viel Aufhebens machst, jemals zu etwas gut ist? Dein Stolz, der einen Augenblick lang etwas Erstaunliches hat, beleidigt so lange deine Mitmenschen, bis sie dich verachten und du wirst bald aus dem Alter heraus sein, wo man gefällt, ohne den mindesten Nutzen aus den kostbaren Gaben gezogen zu haben, die dir die Natur geschenkt hat. Und welches Uebel glaubst du zu begehen, indem du deinen Körper dem hingibst, der ihn begehrt? Ist dieses Begehren in ihm nicht ein von der Natur eingeflößtes? Du beleidigst sie, wenn du nicht nachgibst und diese lächerliche Keuschheit, auf die du dir so viel einbildest, ist weiter nichts wie ein verbrecherischer Widerstand gegen ihre Absichten. Ah, glaube mir, mein Engel, die Menschen lieben uns nur nach dem Maßstab der Genüsse, die wir ihnen bieten. Wenn wir sie ihnen verweigern, lassen sie uns laufen, und die einzige Freude, die uns noch bleibt, ist der schwache Stolz, widerstanden zu