Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 146

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befand sich unterhalb dieser Wolke; darauf lagen die verschiedenen Attribute aller Religionen der Erde, wie Bibeln, der Koran, Kruzifixe, geweihte Hostien, Reliquien und andere Dummheiten dieser Art, Sechs Kabinette schlossen sich an den Salon und boten denjenigen, die sie benützen wollten, ungestörte Stätten für besondere Vergnügungen; daneben waren hübsche Garderoben mit Waschbecken und Sitzwannen. Eine schöne Terrasse mit Orangenbäumen, mit einem Zeltdach und Jalousien versehen, schloß sich gleichfalls an den Salon an und ermöglichte dadurch, frische Luft zu schöpfen; ein großer Erdwall umgab sie und konnte durch seine Tiefe für immer die Materie, die durch die Frevler bei ihren scheußlichen Orgien zerstört wurde, bergen; eine Vorsicht, die beweist, wie sehr diese Wüstlinge das Verbrechen liebten und wie sie stillschweigend entschlossen waren, es ganz kaltblütig zu begehen.

Punkt zehn Uhr morgens begab sich die Gesellschaft in das vorbereitete Lokal, jeder in ein anderes Kostüm gehüllt, das wir genauer schildern wollen.

Frau de Verneuil war nach Art der Sultaninnen in Konstantinopel gekleidet, was ihr wunderbar stand.

Cécile, ihre reizende Tochter, erschien als Murmeltier[345] maskiert, wodurch sie die Geilheit im höchsten Grade weckte.

Der junge Viktor trug die Attribute Amors.

Marceline stellte eine Wilde dar.

Ihre Tochter Laurette trug ein einfaches Gazehemd, das mit großen Lilabändern gefällig an den Hüften und den linken Busen geknüpft war; dadurch wurde eine ihrer Brüste und die Hälfte ihrer Hinterbacken sichtbar. Da sie ihre beiden hübschen Kinder fast nackt an der Hand führte, glich sie der Göttin der Jugend, umgeben vom Spiel und vom Lachen.

Frau de Gernande erschien in dem interessanten Kostüm der Opfer, die man im Tempel der Diana schlachtete; sie hätte für Iphigenie gelten können.

Justine erschien als Kammerzofe, mit nackten Armen; sie war mit Rosen geschmückt und ihre schöne Taille trat gut hervor.

Dorothea zeigte sich im Kostüm, das von den Malern der Proserpina beigelegt wird; es entsprach ganz ihrem Charakter und war von feuerrotem Satin.

Die sechs hübschesten Lustknaben Gernandes stellten Ganymeds dar.

John und Constant, Verneuils Kammerdiener, erschienen als Herkules und Mars.

Verneuil, d'Esterval, Bressac und Gernande trugen rote Seidengewänder, die sich eng an ihre Haut anschmiegten und sie vom Nacken bis zu den Füßen bekleideten. Zwei kunstvoll vorn und hinten angebrachte runde Oeffnungen ließen ihre Hinterbacken und ihr Glied frei. Sie waren stark rot geschminkt und trugen auf dem Kopfe einen leichten, brennroten Turban. Sie ähnelten den Furien.

Vier sechzigjährige Alte wurden, als spanische Matronen gekleidet, zum inneren Dienst zugelassen, worauf die Sitzung ihren Anfang nahm.

Alle standen aufrecht in einem Halbkreis, als die Meister im Saale erschienen. Alle knieten nieder, sowie sie diese erblickten. Dorothea schreitet auf sie zu und sagt ihnen folgendes:

»Illustre und hohe Herren, alle Subjekte, die Sie hier sehen, warten nur auf Ihre Befehle. Sie werden bei allen die größte Unterwürfigkeit, die vollständigste Ergebung, die höchste Willfährigkeit finden. Befehlen Sie also Ihren Sklaven, unumschränkte Gebieter dieser Stätten; verlangen Sie es und wir werden vor Ihnen im Staube liegen, um Ihre Aufträge zu erwarten oder zu fliegen, um Ihren Wünschen zuvorzukommen. Vermehren Sie die Zahl[346] Ihrer Lüste, lassen Sie Ihren Trieben und Leidenschaften den freiesten Lauf; unser Können, unser Dasein, unser Hab und Gut, alles gehört Ihnen; Sie können über alles verfügen. Schwelgen Sie im Gedanken an die Ruhe, mit der Sie hier genießen werden. Kein Mensch auf Erden würde es wagen, Ihre Genüsse zu stören; Ihre ganze Umgebung wird sie nur noch lebhafter gestalten. Ueberschreiten Sie also alle Schranken; scheuen Sie vor nichts zurück. Die traurigen Vorurteile des Pöbels können und dürfen so mächtige Wesen nicht hindern; Ihre Gesetze sind die des Universums; Sie sind die einzigen Götter, die man anbeten darf. Mit einem einzigen Worte können Sie uns vernichten, mit einer Geste uns in Staub verwandeln; aber selbst wenn Sie dies täten, würden wir Sie noch mit unserem letzten Hauch erhöhen, lieben und ehren.«

Nach diesen Worten verbeugt sich Dorothea, saugt die vier Gliede und bittet um die Erlaubnis, ihren Arsch lecken zu dürfen; dann zieht sie sich schweigend zurück und wartet der Befehle.

»Mein Freund,« sagte Gernande zu seinem Bruder, »dieses Fest wird deinetwegen gefeiert, du hast alo hier zu befehlen; gewiß stimmt mein Neffe zu; unser Freund d'Esterval, dem wir ein anderesmal das Verfügungsrecht anvertrauen werden, wird es heute dir gerne überlassen.« Alle geben ihren Beifall zu erkennen. Verneuil, mit der höchsten Macht betraut, setzt sich also auf eine Art Thron, der auf einer mit einem purpurroten, goldgefransten, Sammetteppich bedeckten Estrade sich befindet. Sowie er sitzt, kommen die Frauen, die Mädchen, die Kinder, die Knaben und die Alten unterwürfig herbei und reichen ihm nach dreimaliger Kniebeuge ihre Hintern zum Küssen. Hierauf begeben sie sich nach einander zu den drei Freunden, die auf den den Thron umgebenden Fauteuils saßen und mit jeder Nahenden nach Belieben umgingen. »Wenn es Sie während dieser ersten Runde,« sagt Verneuil, »gelüsten sollte, an einigen der sich Ihnen darbietenden Gegenstände energischere Maßregeln vorzunehmen, so schließen Sie sich sofort in ein Kabinett ein, um nicht die Ordnung zu stören; ist dann Ihre Leidenschaft gekühlt, dann führen Sie die Person wieder in die Versammlung zurück.« Bressac macht als erster davon Gebrauch; er kann die reizenden Hinterbacken seines Vetters Viktor nicht nackt sehen, ohne weiter zu gehen; er zieht ihn in eines der Kabinette, indes d'Esterval, von Cécile begeistert, mit ihr seinen heißen Trieb befriedigt. Gernande tut desgleichen mit Laurette. Verneuil zieht[347] sich mit Marceline und den beiden Kleinen zurück, während Dorothea, der man alle Rechte der Männer eingeräumt hatte, sich mit Constant einschließt.

»Meine Freunde,« sagt Verneuil, nachdem er wieder seinen Platz eingenommen hatte, »da das offene Bekenntnis der Geilheiten, denen man sich hingegeben hat, das Feuer der Begierden nur noch mehr entfacht, so wünsche ich, daß ein jeder über alle wollüstigen Handlungen, die er soeben vorgenommen hat, mit lauter Stimme und möglichst detailliert Rechenschaft ablegt. Reden Sie, Gernande; Ihre Freunde werden Ihnen folgen. Vergessen Sie namentlich nicht, möglichst unverhüllte, klare Schilderungen zu geben und die technischen Ausdrücke zu verwenden; verdecken wir schamhaft die Tugend, das Verbrechen möge immer offen hervortreten.«

Gernande erhebt sich. »Ich habe mich,« sagt er, »mit Laurette eingeschlossen; ich habe ihr den Mund und das Arschloch geleckt; sie hat mein Glied gesaugt, während ich ihre Achselhöhlen

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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