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nur darin dir gehorchen will; zu fest begründet sind meine Verachtung und mein Haß, zu gewiß sind sie, als daß ich mich dir je in anderen Dingen unterwerfen könnte.«
Kaum hatte Gernande diese Worte gesprochen, als eine Rolle weißer Seide aus dem Munde des Ewigen zu seinen Füßen geschleudert wurde. Er rollt sie auf und liest folgendes: »Nimm deine Schwägerin und deine Schwester Marceline; gehe mit ihnen in ein Boudoir; dort wirst du das Blut mischen und das Sekret trinken.«
Gernande schließt sich sogleich ein. Alle andern taten desgleichen, nachdem ihnen ihre Befehle zugekommen waren.
Bressac kommt als zweiter dran; er liest die gleiche Formel herunter, worauf die Rolle herabfällt. Darauf stand: »Nimm zwei Lustknaben und kennzeichne sie.«
Es folgt Dorothea; die Rolle besagt: »Die Gernande[353] und Constant sollen dir folgen; werde zugleich der Henker der einen, die Hure des andern.«
D'Esterval liest: »Nimm Cécile und Lili; schone die letztere, überhäufe dafür die erstere.«
Verneuil: »Justine und John gehören dir; setze dein Geheimnis mit der ersteren aufs Spiel, damit der zweite dich rächt, wenn man dich zurückweist.«
Viktor beschließt: »Nimm zwei Lustknaben und zeige dich würdig deines Vaters.«
Die Unmöglichkeit, jedem der Handelnden in sein Kabinet zu folgen, wird uns bei unseren Lesern entschuldigen, wenn wir uns nur auf die Vorgänge beschränken, an denen unsere Heldin beteiligt war.
»Justine,« sagte Verneuil, nachdem er sich mit ihr eingeschlossen hatte, »lassen wir einen Moment diesen Knaben in die Garderobe treten und höre mir aufmerksam zu. Die Stimme Gottes, des Herrn der Welt, hat mir zugerufen, ich könne dich in mein Geheimnis einweihen; ich will es tun; treibe damit keinen Mißbrauch, trachte, daß ich mein Vertrauen nicht bereuen muß.
Ich kann dir, meine Liebe, nicht verbergen, daß du etwas an dir hast, das mir außerordentlich gefällt. Mein Bruder findet bei dir Geist, aber zu viel Prüderie; lasse ab von ihr, da sie deinen Reizen Abbruch tut. Verzichte auf deine dumme Religion und Tugend, durcheile mit mir den dornigsten Pfad des Verbrechens. Gib deine Zustimmung, auf mein Gut zu kommen, dann ist dein Glück gemacht; aber wenn du es annimmst, bedarf es unendlichen Mutes, Hingabe, gänzlicher Resignation ...« – »Ach, Herr, um was handelt es sich denn?« – »Um ein Greuel. Zunächst, mein Kind, sei überzeugt, daß es keinen größeren Frevler auf Erden gibt als mich; keiner treibt es im Verbrechen und der Grausamkeit weiter als ich. Um meine perversen Gelüste ohne soviel Risiko wie die gewöhnlichen Uebeltäter zu befriedigen und um meine Opfer durch eine ungeheuerliche Ruchlosigkeit, die alle meine Sinne unsagbar erregt, zu vermehren, bediene ich mich eines Pulvers, das demjenigen sofort den Tod verursacht, der es einatmet oder verschluckt. Dieses Pulver rührt von der Addadwurzel her, die in Afrika28 wächst, aber auch bei uns gezüchtet werden kann. Das daraus gewonnene Gift ist so heftig, daß eine sehr kleine Dosis schon sehr rasch den schmerzhaftesten Tod herbeiführt. Du kannst dir, meine Liebe, gar nicht vorstellen, welche unglaubliche Zahl von Opfern auf diese tückische Weise zugrunde gegangen ist. Aber da der, welcher dem Verbrechen huldigt, nach immer höheren[354] Zielen strebt, beschäftige ich mich, wenig befriedigt von der Zahl der Individuen, die mir zum Opfer fallen, mit einem Mittel, das mein Feld erweitern soll. Doch um dabei Erfolg zu haben, bedarf ich einer Hilfe. Ich habe meine Blicke auf dich gerichtet; mit diesem Höllenpulver (dessen Namen habe ich ihm gegeben) müßtest du die Städte durcheilen und dieses Gift verteilen; ich würde das beispiellose Glück genießen, deine Frevel den meinen beizugesellen und sie als die meinigen zu betrachten, da sie ja mein Werk sind.« – »Wie! mein Herr, solche Greueltaten? ...« – »Bewirken meine süßesten Freuden. Wenn ich mich dieser Handlungsweise hingebe, werden zunächst meine Geister unglaublich angeregt, was daraus ersichtlich ist, daß sogleich mein Sperma abgeht, ohne daß ich sonstiger Hilfe bedarf.« – »Ach, Herr, wie beklage ich Ihre Umgebung!« – »Nein, meine Frau, meine Kinder, meine Dienerschaft laufen keine Gefahr, sie bieten mir andere Freuden, die ich ohne sie entbehren müßte. Aber im übrigen ... ehrgeiziger als Alexander, möchte ich die ganze Welt verwüsten und sie mit den von mir Ermordeten bedecken.« – »Sie sind ein Scheusal; Ihre Entartung wird sich durch diesen neuen Anreiz nur noch verdoppeln und die geheiligten Wesen, die Sie heute noch schonen wollen, werden bald auch geopfert werden.« – »Du glaubst, Justine?« fragte Verneuil, ihren Hintern tätschelnd und seinen durch ihre Prognose höchst erregten Penis in ihre Hand drückend. – »Ich bin davon überzeugt.« – »Und wenn dem so wäre, mein Engel, würde ich damit ein so großes Verbrechen begehen?« – »Ein schreckliches, ein entsetzliches; und werde ich nicht sobald auch Ihnen zum Opfer fallen?« – »Niemals, du wärest mir zu kostbar, zu nötig dazu.« – »Ach, ich würde nur umso früher geopfert werden, wenn ich Ihr Anerbieten annähme. Das Klügste, was ein Frevler tut, ist, seine Komplizen unschädlich zu machen; von allen seinen Freveln ist zweifellos dieser der annehmbarste.« – »Ich will deinen Einwurf rasch abfertigen. Du wärest im Besitze meines Pulvers, hättest also die gleichen Rechte auf mein Leben, wie ich auf das deinige.« – »Ach, Verneuil, nur die Waffen, die sich in den Händen des Lasters finden, sind gefährlich; wenn die Tugend sie einen Augenblick besitzt, bedient sie sich ihrer nur dazu, um sie denjenigen zu rauben, die damit Mißbrauch treiben.« – »Also du glaubst, mein Kind, es wäre ein großes Uebel, sich auf diese Weise zu befriedigen?« – »Es wäre der abscheulichste aller Frevel, denn diese Art des Mordes ist die tückischeste und die gefährlichste, da man sich gegen sie nicht wehren kann.« – »Da du von meinem Bruder belehrt worden bist,« erwiderte Verneuil, »werde ich dir nicht wiederholen,[355] was er und die anderen Philosophen, bei denen du dein Leben zugebracht hast, dir über die Nichtigkeit des angeblichen Verbrechens, nämlich des Mordes, gesagt haben; ich will mich nur darauf beschränken, dir verständlich zu machen, daß von allen Arten des Mordes die, welche nicht mit Blutvergießen verbunden ist, die sicherlich am wenigsten schreckliche ist. Tatsächlich mußt du mir zugeben, daß, wenn etwas bei der Verrichtung von seinesgleichen abstößt, die Gewaltsamkeit es ist, mit der man