Seiten
Gott, es ist ein Kind, ein entzückendes Mädchen von achtzehn Monaten, nackt, geknebelt, welches ihr Henker wahrscheinlich hoffte zugleich mit seinem Verbrechen in den Fluten des Teiches zu begraben. Justine beeilt sich, die Banale zu zerreissen, sie läßt das kleine Mädchen atmen, und es streckt seine kleinen, furchtsamen Hände gegen seine Wohltäterin aus, wie um sich bei ihr zu bedanken. Gerührt umarmte Justine die reizende Unglückliche. »Armes Kind,« sagt sie, »bist du auf die Welt gekommen gerade, so wie die unglückliche Justine, nur um den Kummer, niemals die Freude kennen zu lernen? Vielleicht wäre der Tod das beste für dich gewesen. Ich leiste dir vielleicht einen schlechten Dienst, indem ich dich aus dem Schöße der Vergessenheit ziehe und dich wieder ins Unglück und in die Verzweiflung zurückführe; wohlan, ich werde diesen Fehler gutmachen und dich nie verlassen, wir werden zusammen die Dornen dieses Lebens pflücken; sie werden uns zu zweit weniger spitzig vorkommen und mit vereinten Kräften werden wir sie zu zweit leichter vermeiden. Gütiger Himmel, ich danke dir für dieses Geschenk, es ist eine heilige Gabe, für das mein Gefühl dir immer dankt; glücklich, es gerettet zu haben, werde ich für sein weiteres Leben, seine Erziehung, seine Sitten sorgen. Ich werde für sie arbeiten, jünger als ich, wird sie[118] mir es im Alter heimzahlen.; es ist eine Freundin, welche mir Gott geschickt. Auf welche Weise kann ich dir danken?«
»Das soll meine Sorge sein, du Hure!« schrie ein Mann mit Stentorstimme, und indem er die unglückliche Justine beim Kragen faßte, warf er sie auf den Rasen. »Ja, ich werde dich dafür strafen, dich in Angelegenheiten zu mischen, die dich nichts angehen.« Daraufhin ergreift der Unbekannte das kleine Mädchen, steckt es wieder in den Korb und wirft es wieder ins Wasser. »Du verdienst dasselbe Los, Mistmensch,« sagte der Kerl, »wie dieses Kind, und ich würde nicht zögern, es dir zuteil werden zu lassen, wenn ich dich nicht für grausamere Strafen aufbewahren würde, die mir mehr Vergnügen machen. Folge mir ohne ein Wort; sieh diesen Dolch: bei der ersten Bewegung steckt er in deinem Busen.«
Wir sind nicht imstande, die Ueberraschung und das Erschrecken Justines zu beschreiben. Sie wagte es nicht, zu antworten und folgt zitternd ihrem Henker; nach zwei Wegstunden kamen sie zu dem Schloß, welches am Ende eines Tales gelegen, von Hochwald umgeben, ein wildes, düsteres Aussehen hatte. Die Tür zu diesem Hause war so von Gehölz und Gestrüpp verdeckt, daß es unmöglich war, sie zu erraten. Hier trat gegen zehn Uhr nachts, vom Herrn des Hauses geführt, Justine ein. Während das arme Mädchen, in einem Zimmer verschlossen, ein wenig Ruhe sucht vor diesem neuen Schrecken, wollen wir Alles das vorausschicken, was zum Verständnis des Folgenden notwendig ist. Monsieur de Bandole, ein reicher Mann, einst in hoher Stellung, war der Besitzer des Schlosses. Zurückgezogen von der Welt seit fünfzehn Jahren, gab sich Bandole in dieser Einsamkeit ganz seiner absonderlichen Geschmacksrichtung hin. Wenige Menschen waren kräftiger als Bandole; obwohl er vierzig Jahre alt war, machte er täglich seine vier Nummern, ja in seiner Jugend hatte ers auf zehn gebracht. Groß, mager, von galligem Temperament, besaß er einen schwarzen und widerspenstigen Schwanz von neun Zoll Länge und sechs Zoll Dicke; behaart war er am ganzen Körper wie ein Bär. Bandole, so wie wir ihn jetzt beschrieben haben, liebte die Frauen nur zu seiner Lust; wenn er gesättigt war, konnte sie niemand mehr verachten. Noch merkwürdiger war, daß er sich ihrer nur dazu bediente, um Kinder zu erzeugen und niemals verfehlte er; aber noch merkwürdiger war der Gebrauch, den er von diesen Früchten machte; er zog sie auf bis achtzehn Monate und hierauf wurde der finstere Teich, in welches wir eines ihn haben versenken sehen, ihr gemeinsames Grab.
Diesen bizarren Wahn zu befriedigen, hatte Bandole dreißig Mädchen in seinem Schloß eingeschlossen im Alter von achtzehn bis zu fünfundzwanzig Jahren, alle von der größten Schönheit. Vier alte Frauen waren beauftragt, dieses Serail zu betreuen, eine Köchin und zwei Küchenmädchen vervollständigten den Haushalt dieses Wüstlings; ein großer Feind aller Schwelgereien im Sinne Epicurs, war er der Ansicht, daß man, um seine Kraft zu erhalten, wenig essen und nur Wasser trinken dürfe, und daß eine[119] Frau, um fruchtbar zu sein, nur gesunde und leichte Nahrung zu sich nehmen dürfe. Deshalb nahm Bandole nur immer eine Mahlzeit, bestehend aus einigen Gemüsen ein, und auch die Frauen erhielten nichts als Gemüse und Früchte; wirklich erfreute sich auch Bandole infolgedessen einer glänzenden Gesundheit und seine Weiber waren entzückend frisch; sie legten wie die Hennen und in jedem Jahr gebar ihm jede wenigstens ein Kind. Der Schweinkerl ging auf folgende Weise vor: In einem eigens dazu hergerichteten Boudoir stand eine Maschine, auf welcher das Weib so festgebunden wurde, daß sie dem Wüstling den Tempel der Venus so weit als möglich öffnete; er begann zu vögeln und sie konnte sich nicht rühren. Dies war nach der Behauptung Bandoles das Wichtigste zur Befruchtung, und nur deshalb ließ er sie binden. Drei oder viermal im Tag wurde dasselbe Weib auf die Maschine gebunden; hierauf kam sie ins Bett, die Füße in die Höhe, den Kopf tief gelegt. Sei es, daß das Mittel Bandoles wirklich gut war oder daß sein Same eine seltene Fruchtbarkeit besaß, immer hatte er denselben Erfolg. Nach neun Monaten erschien pünktlich das Kind, er zog es bis zu achtzehn Monaten auf, dann ertränkte er es, und es war immer Bandole selbst, welcher dies besorgte; dies verschaffte ihm nämlich den nötigen Ständer, um sich neue Opfer zu zeugen. Nach jeder Geburt wechselte man die Frauen, so daß nur die unfruchtbaren blieben. Dadurch waren sie in der schrecklichen Zwangslage, entweder dem Ungeheuer ein Kind zu gebären oder ewig bei ihm zu bleiben. Da sie nicht wußten, was mit ihrer Nachkommenschaft geschah, so konnte Bandole ihnen leicht ihre Freiheit wieder geben, und man brachte sie zurück, woher sie kamen und jede erhielt tausend Francs Schadenersatz. Was Justine anbelangt, konnte er aber nicht daran denken, ihr die Freiheit wieder zu geben, so viel Kinder sie ihm auch gebären würde, denn sie hatte ihn belauscht und konnte