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nur unserer Lust allein zu dienen, ohne Rücksicht auf ihre Freuden? Der Despotismus ist an und für sich eine Quelle der Freude und wenn man sich daher allein als Herr belustigt, genießt man unvergleichlich mehr, als wenn man das Vergnügen teilt. Darum schadet das Zartgefühl viel eher der Wollust, als daß es ihr nützt. Das Zartgefühl dient der Wollust des Weibes auf Kosten des Mannes. Der Mann, welcher auf die Wollust des Weibes Rücksicht nimmt, schmälert seine eigene, zugunsten einer Chimäre, »Liebe« genannt. Das ist der Unterschied zwischen Liebe und Wollust. Darum muß der Mann, um seine Wollust zu vergrößern, sich um die Frau gar nicht kümmern. Der Egoismus, das oberste Naturgesetz, hat doch auch gewiß in den Freuden der Wollust das erste Wort. Wenn daher der Mann bei seiner Wollust auf die des Weibes keine Rücksicht nehmen soll, so ist es nur ein Schritt weiter, wenn ich verlange, daß man denjenigen Mann, welcher seine Wollust nur mit den Schmerzen der Frau erkaufen kann, ruhig gestatten soll, alles zu tun, um zu seinem Ziel zu gelangen. Der häßliche, der alte Mann verlangt ja auch nicht von seinem Opfer etwas anderes als Passivität. Und daher soll uns das Glück oder das Unglück der Opfer unserer Ausschweifungen vollständig gleichgültig sein. Die Frauen werden freilich anderer Meinung sein. Doch sie sind nur geschaffen zu Werkzeugen unserer Lust und haben daher in der Gestaltung[169] derselben nichts drein zu reden. Wird irgend ein Mann sich bemühen, eine öffentliche Hure an seinem Vergnügen zu beteiligen? Gewiß nicht! Millionen Männer denken nicht daran und doch möchten sie uns verurteilen, weil es unzählige menschliche Wesen gibt, die auf der Erde herumrennen, ohne sich über irgend etwas Rechenschaft zu geben. Unsere Wollust erreicht nur den Höhepunkt, entweder indem wir in dem Objekte, das uns dient, in Wirklichkeit oder in der Einbildung den höchsten Grad der Schönheit erblicken, welche uns entzückt, oder indem wir dieses Objekt in die höchste Erregung versetzen. Es gibt aber keine höhere Erregung als die des Schmerzes. Durch diese können uns die Frauen nicht so leicht täuschen, wie durch die der Freude, welche sie uns oft vorlügen. Wie schön, wie jung, wie kräftig muß man sein, um sicher zu sein, der Frau wirklich Vergnügen zu schaffen. Für die Empfindung des Schmerzes bedarf es all dessen nicht. Je älter, je häßlicher der Mann ist, desto leichter wird er das erreichen. Wenn wir daher von der Ansicht ausgehen, daß unsere Erregung durch die Höhe der Seelenbewegung unseres Opfers bedingt ist, gleichgültig, ob dies Freude oder Schmerz ist, so wird derjenige, welchem es gelingt, die Frau am meisten zu mißhandeln und zu quälen, sich selbst die größte Lust verschaffen. Daher wird der egoistische Wüstling seinem Opfer möglichst viel Qualen erdulden lassen, um bei denselben die höchste Erregung und dadurch für sich die höchste Wollust zu erzeugen.
»Diese Prinzipien sind schauderhaft, sie führen zur höchsten Grausamkeit und zu verdammenswerter Phantasie.« – »Was geht das mich an? Ich bin der Herr, ich habe von der Natur die Gabe empfangen und sie hätte sie mir nicht gegeben, wenn ich sie durch mein Benehmen beleidigen würde. Darum können wir uns unseren Gelüsten mit aller Heftigkeit hingeben, ohne uns um die Folgen kümmern zu müssen.« – »Wie aber,« wandte Justine ein, »wenn Ihr durch die Martern, die eurer Wollust dienen, eure Opfer tötet?« – »Wenn ich durch die Quälereien der Stimme der Natur folge, so erfülle ich auch ihren Wunsch durch die Zerstörung der Objekte, denn ich verschaffe ihr dadurch die Materie zur Erschaffung neuer Wesen. Das ist die ganze Geschichte des Mordes. Selbst wenn der Mensch, indem er sein Glück dem der andern vorzieht, alles, was ihm begegnet, vernichtet, dient er damit nur der Natur, die ihm als oberstes Gesetz den Selbsterhaltungstrieb eingeimpft Die Nächstenliebe ist eine unnatürliche Chimäre des Nazareners, der gequält, unglücklich, die Menschenliebe und Milde anrufen mußte, weil er durch die Propagierung der Nächstenliebe sich selbst zu stützen suchte. Der Philosoph sieht sich im Mittelpunkt der Welt und schätzt nur alles nach dem Vorteil, den er hievon hat. Fühlt er sich Herr der Situation, dann wirft er alle Nächsten[170] liebe, alle Wohltätigkeit auf die Seite und benützt alles, was ihm Genuß verschaffen kann, ohne Zögern und ohne Gewissensbisse.« – »Aber der Mensch, wie du ihn schilderst, ist ein Ungeheuer!« – »Er ist ein Mensch in seiner wirklichen Natur!« – »Das ist ein wildes Tier.« – »Ja, ist der Tiger und der Leopard denn nicht auch von der Natur geschaffen? Der Wolf, der das Schaf zerreißt, er fühlt genau so die Gesetze der Natur, wie der Uebeltäter, der das Objekt seiner Rache oder seiner Wollust vernichtet.« – »Ihr habt gut reden, mein Vater, ich werde niemals die zerstörende Wollust anerkennen.« – »Aus Egoismus, weil du das Opfer zu werden fürchtest Wechsle die Rolle und du wirst meiner Meinung sein«. Der Wolf zerreißt das Schaf, der Starke den Schwachen, das ist Naturgesetz. Oh, Justine, die Natur würde sich sehr wundern, wenn sie mit uns sprechen könnte und man ihr sagen würde, daß das, was ihre Stimme uns befiehlt, ein Verbrechen ist nach Menschengesetz. »Tor,« würde sie mir antworten, »morde, stiehl, raube, töte deinen Vater, deine Mutter, deine Kinder, vögle in Arsch und Fut, du tust nur, was ich dir befohlen, denn alles, was in dir spricht, ist meine Stimme. Halte dich nicht zurück, verletze jede Sitte, jegliches Gesetz, höre nur auf mich.« – »Oh, Himmel,« rief Justine, »du machst mich beben; wenn es keine Verbrechen gegen die Natur gäbe, woher käme dann der Widerwille gegen so manche Tat?« – »Dieser Widerwille entspricht nur dem Mangel an Gewohnheit, so wie manches Gericht uns widersteht, weil wir es nicht gewohnt sind. Auch die Medikamente widerstreben uns, obwohl sie heilbringend sind; gewöhne dich daher an das, was die Menschen törichterweise Verbrechen nennen, und du wirst ungekannte Freuden genießen. Je entgegengesetzter eine Tat dem Gesetz oder der Sitte ist, je mehr Schranken sie durchbricht, desto mehr entspricht sie der Natur. Ein leichtes Verbrechen stellt nur langsam das Gleichgewicht her, je ausgedehnter es ist, desto mehr hält es