Die Entwicklung der Welt - Page 2

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werden. Wenn zu wenige Lebewesen getötet werden, sinkt die Lebenskraft der Nichtgetöteten immer mehr - das erklärt die Menschenopfermagie, der Geopferte bringt den Hinterbliebenen Heil, er stärkt ihre Lebenskraft, von Jesus bis zum Selbstmordtrieb. Suchttod auf Raten oder als großen Coup, bis die Lebensgemeinschaft als Ganze an Mangelerscheinungen auf natürliche Weise stirbt. Am gesichertsten ist die optimale Ernährung der Nichtgetöteten, wenn sie jeden Artgenossen, den sie töten können, töten. Auf der Stufe des primitiven Lebens gibt es kein Prinzip, das einen derartigen Mechanismus ermöglicht. Erst wachsende Lebenskomplexe sind Artgenossen, die tötbar sind - die Kinder.

Das Prinzip führt zur Tötung der Kinder durch die gewachseneren Artgenossen - die schwangere Füchsin kämpft gegen ihren vorangehenden Wurf auf Leben und Tod. Das Überleben durch Wachstum führt zu der Frage, was verhindert die Ausrottung aller Lebewesen durch das unendlich Gewachsene - Kafkas Amerika? Die natürliche Wachstumsgrenze. Eine Anzahl Zellen im lichtdurchfluteten Wasser ist optimal ernährt und vereinigt sich, um ihre gebündelte Lebensenergie zur Vernichtung noch nicht so großer Zellvereine zu verwenden. Das erreicht einen Punkt, an dem gewisse Zellen des Bündels nicht mehr so optimal vom lichtdurchfluteten Wasser ernährt werden, als einzeln schwimmende Lebewesen. Diese Zellen tragen keinen gleichermaßen steigenden Lebenskraftanteil mehr bei, wie die ersten Zellen der Gemeinschaft, ja sie behindern die Gemeinschaft und schädigen sie letztenendes, indem sie den noch gut vom sonnendurchfluteten Wasser umspülten Zellen Lebensenergie absaugen, zu nichts als ihrer eigenen Ernährung, ohne dafür für die Gemeinschaft etwas zu leisten. Letztlich wird es eine Zellgemeinschaftsgröße geben, deren ganze Lebenskraft zur Ernährung der Gemeinschaft nötig ist - die durchschnittliche Zelle hat dann keinen Vorteil mehr vom Zellverbund im Vergleich zu ihrer Einzelexistenz. Der Gemeinschaft bleibt keine Kraft für den Kampf gegen andere Gemeinschaften übrig und sie wird untergehen. Die Untergangsgefahr der Einzelzelle in der Gemeinschaft ist größer als in ihrer Einzelexistenz - geht sie doch mit ihr unter. Als Einzelzelle trifft es sie nur statistisch wie ein Fischlein im Schwarm. Die prinzipielle Einzelexistenz ist eine echte Überlebensmöglichkeit, insbesondere innerhalb eines Zellverbandes als Bakterium und Krebszelle. Der Überlebenskampf durch Wachstum tötet die Kinder, aber bevor der immer weiter wachsende Sieger alle Jüngeren getötet hat, verliert er zunehmend an Kraft und wird schließlich selbst getötet, dann wenn ein Jüngerer stärker ist als er. Prinzipiell ist in diesem System die Jugend sehr gefährdet, sie wird von der Mutter gefressen - die blutige kinderfressende, hundertbrüstige Astarte - und was übrig bleibt, wird vom Vater als ödipaler Konkurrent vernichtet - brutal ist unser Heimatplanet. Das Überleben der Art kann nur durch eine gigantische Geburtsfähigkeit - fast nach dem Pflanzenprinzip - gesichert werden. In einem Areal, in dem ein alter Riese stirbt, haben kurzzeitig im tödlichen Wettkampf Junge und Jüngste Überlebenschancen. Die im Wachstumsprinzip enthaltene natürliche Grenze führt zuerst den biologischen Tod ein, den Zerfall des Riesenwesens - der keine Geburt - Teilung - ist. Die Einzelteile des zerfallenen Riesenwesens sind lebensunfähig abgesprengte Teile einer Symbiose, die widerstandslos von anderen gefressen werden. Nach ihrer Schwächung im einstigen Riesenwesen, ihrer Spezialisation, ihrer Ungeübtheit im eigenen Leben, werden sie von jeder anderen - gleichgroßen oder gar kleineren Gruppierung - Jugend - getötet.

Die Eroberung bisher nicht bewohnten Lebensraums ist auf einfache Art und Weise nicht möglich. Immer ist zumindest am Anfang eine Versorgung der Ausgewanderten durch die Zurückbleibenden - durch die Mutterkolonie - erforderlich - Proviant, Schaffung von Reservoirs alter Lebensraumtechnik im neuen Lebensraum. Die Versorgung der Tiefseebewohner aus dem ursprünglichen Lebensraum ist offensichtlich. Sie leben davon, daß die Nahrung ewig von oben - aus den lichtdurchströmten Zonen - in den unwirtlichen Raum ihres Daseins rieselt. Der Tod der Zurückgebliebenen - ihre Ahnen - ernährt sie - die ausgewanderten Nachkommen.

Das Wasser wird vom Land geschieden. Im ewigen Rhythmus wachsen die Berge, sinken die Niederungen. Der Mond entsteht - Ebbe und Flut.

Die Sonne verdunstet das Wasser und es regnet über das Land - das Meer holt sich das Land mit einer dünnen Feuchtigkeitsschicht zurück. In ihr wachsen in Lichtdurchflutung die Massenzellen der Pflanzen. Flüsse und Seen entstehen. Es entstehen wasserhaltige Gebiete an Land, in denen die alten Lebewesen des Meeres weiter existieren können - leicht angepaßt an die Salzlosigkeit, dabei eigene Salzfabriken in sich schaffend.

Zusätzlich entstehen neue Lebensräume, diesmal aber nicht dunkel und durch die oberen Schichten mit Nahrung versorgt, sondern selbst lichtdurchflutet. Hier ist nicht das mangelhafte Licht, sondern die oft mangelhafte Wasserversorgung das Lebensfeindliche. Wie werden die in diese lebensfeindliche Umwelt Hinausgedrängten durch die Toten des alten Lebensraums versorgt? Ein erster Ansatz ist dieser. Die Übervölkerung drängt - die Schwächsten, Jüngsten - massenhaft aus dem Meer in die Flüsse und Seen. Bei Austrocknung sind diese mit unzähligen Leichen überdeckt, diese dienen den Überlebenden der Austrocknung und gleichsam ersten Landgängern als Nahrung - aus dem alten Lebensraum bzw im Kannibalismus unter den ums Überleben Kämpfenden. In einer neuen Nische des Meeres hat sich eine junge Unterart gebildet. Diese Nische verschwand schnell wieder und so mußten die neuen Wesen eher weiterwandern, als daß sie in die alte Gemeinschaft zurückkehren konnten.

Aber auch eine Eroberung der neuen lichtdurchfluteten Lebensräume ist möglich. In den zeitweise unter Wassermangel leidenden lichtdurchfluteten Seen und Flüssen sterben gerade die großen, gewachsenen Lebewesen früher als die jungen - auf der Flucht, im Kriegswinter litten die Erwachsenen mehr unter dem Hunger als die Kinder. Eine völlig neue Dynamik kommt in die statische Welt. Nicht nur wird ungeheuer viel Jugend erzeugt, sie bekommt auch viel mehr Überlebenschance in den Randzonen des neuen Lebensraumes. Dennoch muß ein neues Prinzip zur Wirkung gebracht werden, die Mutation. Es ist ja hier überall sonnenklar, daß das hauptsächlich wirkende Paradigma die Todesangst ist. Es ist bezeichnend, daß die bürgerliche Gesellschaft, den Tod verklärend - süßes Sehnen, eine schöne Leich - mittels des Bauchredners Freud alles auf die Sexualität ablenkte - Hypostase der Vermehrung, sechs Milliarden Menschen, die nun ihren Lebensraum zerstören - mit der pikanten Verbindung zum Tod - Sexualität und Verbrechen, der kleine Tod, der Tod im Kindbett, Sado-Masochismus.
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Vermehrung durch Teilung bedeutet eigentlich die Verdopplung identischer Strukturen. Dabei können Fehler passieren. Lebensfähig sind Verdopplungen, die hinreichend identisch sind. Es ist anzunehmen, daß in einem eingeschwungenen

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