Senryu ✓ Gedichte, Erklärung und Aufbau
Vorbeigelaufen
an Schaufenstern des Lebens
zum Glück…
Neues im Frühling
Auf Abstand Gemeinschaft sein
Kunst…
Dezember Sehnen
Schatten, hoffnungsmild betupft
vom…
Schneerosen blühen
weiter, jenseits von Grenzen
…
Auch Höhenflüge
enden mit und ohne Wind.
Wichtig: die…
Schneeflocken tanzen
Die Band spielt Sommerschlager
…
Auserlesener
Aufgehender Augenblick
Atemdurchlässig…
Lebensfadenspiel
Natürliche Ent-Wicklung
Der weisen…
Grenzenlos Freiheit...
Kopfgeburten entspringen
im…
In den Momenten
Losgelassen lag geteilt
Anderes Leben…
Wägendes Irren
aus der Launenhaftigkeit
Im Natürlichen…
Die Reise nach innen,
Nebel umwobene Tage
und Nächte…
Sonntag -
die Rose
im bunten Strauß der Woche
verstehend hören
in der Welt ist viel Gutes
es schreit…
Dieser November
Noch nebelbegrenzt manch Weg
Hinaus…
gefrorener glanz
im aushärtenden abend
asphalt zum…
Verlassener Ort
Leere Hüllen. Schattenlos
Immer sein…
Linientreue
Im Fadenspiel die Puppe
Zugzwang zur Mitte…
Zwischen den Jahren
Soll die Welt ruhig ausschlafen
…
abgeglitten ins
schwanken nur unendlichkeit
streift…
Offene Herzen
In Urkräfte der Welt schaun
Vulkane und…
am tag zuvor als
neues grad gewachsen war
zwischen den…
Der zwölfte Monat
Ein übriggebliebener
Vollendet den…
Verschlossene Nacht
Im Wolkenbett die Freiheit
…
unbekümmert nur
steine beunruhigend in
ihrer…
Und wie so viele
Abschiede sind erlebt und
immer…
In Erinnerung an Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975)
"Bei…
Lesestoff im Herbst
Analog und digital
Welten im…
Wie ich es liebe,
das Vibrieren im Augenblick.
Ein…
Karneval feiern.
Maske verdeckt dein Gesicht.
Du…
im schatten des jetzt
überwintert manch hoffen
die…
Das Herz der Seele
übersteht schwarze Löcher
ewig der…
Wesentlich der Kern
Auf Umlaufbahnen kreisen
…
Erfahrungsabgrund
Ungelenke Reflexion
Entflohen Bilder…
Durchfrosteter Flaum
Fetzen in laurauer Luft
mein…
Den Kopf hoch tragen
und den Mut nicht verlieren.
…
Erstickende Lust
zuletzt Zugluft umstritten
im…
Verwundetes Herz
Die Knospe einer Rose
In Kälte und…
dein haus abzüglich
türen ad hoc im fenster
verlorener…
Geschlossene Zeit
Zukunft verharrt ungeträumt
hinter…
Nie empfunden doch
ganz ohne Kompass das Ziel
das sich…
Die blaue Stunde
Schwebend zwischen den Zeiten
Ewiges…
Von vibrierendem
Fieber funkendes Wähnen
vermeintlich…
Gut gelaunt erwacht
Ein kleines Gespenst, verscheucht
…
Worte aufheben
Wirken lassen in der Zeit
Macht.Sprache…
Ankommen im Sein
Öffnet dir alle Himmel
…
nächtlich kreuzungen
äolisch zart erwartend
tiefhohe…
Lebe Zuversicht,
hab viel Mut im Neuen Jahr.
Glück…
in augen blicken
diskrete enthüllungen
frei von…
Ein Kleiderwechsel
Gemeinsinn steht uns allen
Aktuell.…
Kleinstadtidylle
Im Glanz der Jahreszeiten
Großes…
Tief in deinem Lied
sind die angenommenen
Töne wie…
Die Gürtellinie:
Besser oberhalb bleiben.
Es hebt das…
Entblätterungen
Wesentliches auflesen
Natur der…
erinnerungen
zukunft von gestern im jetzt
entbundene…
Oh Lyrikzauber,
lass die Seele erglühen
zu…
Am Adventhimmel
da sieh, sprach einst Grossmutter
die…
Was sich als Zwitschern
Zwischen zwei Gedanken zeigt
…
Fortgeflogen frei
verjüngter Flügel Fülle
flutend…
Orakelsprüche
ehedem errettende
wie ausschließliche…
Wie oft stirbst du noch,
Zauberin meiner Worte?
Trauer…
Fort von Vielleicht kaum
Im Bereich des Möglichen
Und…
Abgezogen im
Abend würzige Wolken
Blässe fließend…
In der Pfütze der
geerbten Identität
bleibt Blick…
Sommernachrichten
Ankommen und loslassen
Reisezeit zum…
Wie weit ins Gemüt
dringt das Lachen des Nordwinds
…
Irritierende
Zwischengeräusche rangeln
Ruinös verstört…
Im unschuldigen
Blick der Kindheit Erleben:
…
Verschenktes Lächeln
fliegt gespiegelt zu dir zurück.
…
Wortloses Sagen
Lehrt lautlos das Herzwissen
Sprache…
Träume versinken
im grauen Himmelsgewand.
Wer zählt…
Gedankenspiele,
wenn ich zu den Wolken schau.
Welten…
Heimat der Menschheit
Schwebend Blau im Zeiten Raum
…
Im erspürenden
Verorten ausgefallen
andere Werte
Lebensmelodie
Alltagsrausch und hohe Kunst
Klangreiche…
Seiten
Erklärung, Aufbau und Beispiele des traditionellen Senryu (Senryū)
Debon (1984, S. 411) nennt die Senryu „Siebzehnzeiler, die keine ‚haiku‘ sind“. Die Darstellungen über Entstehung und Entwicklung sind widersprüchlich. Ich folge den grundlegenden Ausführungen Blyths.
Formel dem Haiku gleich, dreizeilig mit 17 Silben in der bekannten Aufteilung 5 - 7 - 5, steht seine inhaltliche Prägung in der Tradition des Renga und zwar in der Mindless-Form, dem mushin-renga, ‚herzloses Kettengedicht‘, das den humorvollen, witzigen und an Wortspielen reichen Stil bevorzugte und sich im Volk großer Beliebtheit erfreute (Blyth 9. A. 1984, Vol. I, S. 42). Es wurde in der umgekehrten Silbenfolge 7 - 7 / 5 - 7 - 5 von zwei Autoren geschrieben. Dabei galt es, den dreizeiligen Vers in unerwarteter und überaschender Weise an den vierzehnsilbigen Vordervers anzuschließen. Diese Form des mushin-rengas hieß maekuzuke „Vordervers-Anschluß“ (Debon 1984, S. 410).
Als Beispiel für das maekuzuke ein Gedicht von Sōkan:
Kirtaku mo ari
kiritaku mo nashi
Nusubito wo
toraete mireba
waga ko nari
Erschlagen könnt ich ihn
aber dann doch wieder nicht.
Erwischt wurde der Dieb
und als ich näher hinsah,
war es mein eigener Sohn.
Debon (1984, S. 411)
Der zweite Traditionsstrang, der das Senryu prägte, ist das kyōka, das ‚komische Waka‘, ‚Trollgedicht‘, oder auch kyōku, das ‚Trollvers‘ oder ‚verrückter Vers‘ – ein satirisches Hokku (Blyth 1960, S. 13).
Sōkan wa
doko e to hito no
tōtareba
chito yōji ari
anoyo e to ie
Should Poeple ask
Where Sōkan has gone
Then answer,
"He has gone on some business
To the next world."
Blyth (1960, S. 13)
In den 300 Jahren nach Sōkan sind ständig humoristische Gedichte geschrieben worden, in den letzten 100 Jahren vornehmlich in der Hokku-Form; sie waren jedoch kaum bekannt und auch wenig geachtet. Das änderte sich erst durch Karai Hachiemon (1718-1790).
Karai Hachiemon war offiziell ernannter Sammler und genoss als solcher ein hohes Ansehen. Weniger seinem eigenen dichterischen Talent als vielmehr seiner ausgiebigen Tätigkeit als kritischer Beurteiler und Selektor verdankte er seine Popularität. Diesem Umstand und der Vorliebe Karai Hachiemons für das kyōku ist es zuzuschreiben, dass diese Gedichtart entdeckt wurde und Berühmtheit erlangte.
...
Hachiemon begann seine Sammeltätigkeit 1757; der erste Teil der Anthologie erschien 1765; bis zu seinem Tode 1790 umfasste sie 24 Bände. Der ausführliche Titel lautet: ‚Imosegawa Yanagidaru‘, vom ersten Wort das Ende und vom zweiten der Anfang ergeben die japanische Lesart für Senryu, gawa-yanagi, das übersetzt Flußweide heißt. Diese Wortkombination wählte Hachiemon zum Pseudonym. Erst nach seinem Tod wurde der name auf die gedichtform übertragen.
Sein Lebenswerk und der Umstand, dass das Haiku sich inzwischen zu einer hochgeistigen Gedichtform gewandelt hatte, machten das Senryu ungeheuer populär, denn es bot jedermann die Möglichkeit literarischer Betätigung, der außer der formalen Begrenztheit keine Einschränkungen auferlegt waren.
Das Senryu lebt von „Hyperbolen, Metaphern, Personifizierungen, Kalauern und Verballhornungen; es liebt die respektlose Verspottung, die Travestie und die Parodie“ (Debon 1984, S. 412), versprachlicht Ironie, Satire und Dummheit, menschliche Schwächen, alltägliches Einerlei und banale Nichtigkeit. Der Sprachstil ist umgangssprachlich geprägt, liberal, niemals moralisierend oder anklagend, dafür spöttisch, ja zuweilen zynisch und anzüglich (Blyth 1960, S. 7):
Nusumi yori
kuretaru hana wa
ori-nikushi
It is more difficult
To break off a branch he is given
Than to steal one.
Blyth (1960, S. 166)
Wenn man einen Blütenzweig stiehlt, so nimmt man soviel, wie man haben möchte, aber wenn man ihn geschenkt bekommt, fürchtet man, unbescheiden zu sein und zuviel abzubrechen.
Dorobō no
kaeri ni marui
tsuki wo home
Yasharō
On the way back
From stealing,
He praises the round moon.
Blyth (1960, S. 221)
Dieses ist ein Beispiel dafür, dass das Senryu sich jeder moralisierenden Äußerung enthält. Der satirische Unterton ist sehr zart. Der Dieb hat durch den erfolgreichen Diebstahl alle seine Materiellen Wünsche erfüllt. Nun, auf dem Heimweg, erwacht seine geistige Natur, und er betrachtet den Vollmond mit ruhigem und friedlichen Sinn.
[Auszüge aus "Das deutsche Kurzgedicht - in der Tradition japanischer Gedichtformen" ISBN 3 88996 144 4; Mit freundlicher Genehmigung von Margret Buerschaper]