Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 6

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sich in einem Nebengebäude befanden. Dort schliefen, besonders zu den Zeiten einer Mammut-Vorstellung, alle Komparsen, Bühnenarbeiter, Lichttechniker, Boten, Lehrlinge und Zuträger. Die Mimen selbst waren im Skirvin Hilton untergebracht, je Schauspieler eine Suite. Karl verabschiedete sich noch von Fanny: „Bis morgen, du holde Fee, schlafe besonders gut!“ Und zu Giacomo gewandt: „Nun hoppse nur nicht so leidenschaftlich auf der Bettstatt herum, kleiner Geselle, sonst muss man bei dir auch noch das Bett austauschen, mitten in der Nacht!“ Giacomo aber grinste nur.

Auf dem Tischchen in seinem Zimmer, das nicht größer als rund 12 qm zu sein schien, standen Früchte bereit. Und eine Kanne Tee. Ingwer-Tee. Karl goß sich ein und genoß eine Apfelsine. Dann legte er sich, noch vollständig bekleidet, aufs Bett und träumte ein wenig von großen Erfolgen. Natürlich wollte er auf keinen Fall ein einfacher technischer Arbeiter bleiben. Er würde auf seine Chance lauern. Schon lange hatte er Ambitionen. Und die gingen in Richtung Schauspielkunst. Hier war er doch letztlich am richtigen Platze. Ergo musste nun auch die richtige Karriere her.

Aber alles zu seiner Zeit. Ihn erfrischte der Ingwer-Tee. Diese ganz besondere Note, mit leicht scharfem Nachgeschmack, betörte ihn. Er trank gleich 3 Tassen davon. In tiefer Genugtuung sprach er zu sich selbst: Mein Getränk der Zukunft habe ich jetzt und heute gefunden. Es mag der Ingwer-Tee sein. Für immer.

Einige Jahre würde er den niederen Dienst verrichten, einfache Arbeiten, elektrisch, oder als einfacher Handwerker, beim Kulissenbau vielleicht. Hernach würde er die Bühne erklimmen. Er wollte bereits während seiner nunmehr beginnenden Tätigkeit heimlich Schauspiel-Unterricht nehmen, um dann, eines Tages, Fanny und all die anderen zu beglücken, zu entzücken und auch zu entrücken, mit hoher, intensiver und unvergleichlich guter Schauspielkunst. Dazu wollte er auch versuchen, seinen immer noch starken deutschen Akzent abzulegen. Er war zwar in den 5 Jahren in Amerika schwächer geworden, aber das „th“ brachte er immer noch nicht zustande wie es eben ein Engländer oder Amerikaner spricht. Karl hatte festgestellt, dass die Briten es sehr genau nahmen mit ihrem „th“, aber ein Amerikaner es doch deutlich verwaschener, lässiger aussprach. Er nahm sich vor, den „american way of life“ zu wählen. Dies sollte auch für die Sprache gelten. Es gab naturgemäß größere, sehr oft sogar große Abweichungen im Sprachgebrauch. So hatte er bald schon nach seiner Ankunft in Amerika feststellen müssen, dass man hier nicht ‘Prison’ zum Gefängnis sagt, sondern Jail. Dies hatte ihn, gleich am ersten Tag, der Englisch-Professor Troy erzählt. Karl war das wie ein schlechtes Omen vorgekommen. Ihn dünkte gar, es sei wohl vorbestimmt, dass er eines Tages, daran schien gar kein Weg vorbei zu gehen, in einem solchen amerikanischen Gefängnis würde landen müssen. Gestohlen hatte er bereits, auch gelogen, seinen Oheim aufs Bitterste enttäuscht, er hatte sich auch wiederholt Vorteile verschafft, durch falsche Angaben. Zuletzt, und das stieß ihm so bitter auf, hatte er gar den Personalchef so schmählich belogen.

Doch vorbei sind die Negro-Tage, dachte Karl. Vergnügt gab er sich der Wäsche hin. Gründlich wusch er sich, der Bottich hatte, bemerkenswerter Weise, lauwarmes und sehr frisches Wasser aufzubieten. Alles nach seinem Gusto. Roßmann überkam das anheimelnde Gefühl von Heimat, von Freude pur. Hätte er jetzt auch noch die Fanny im Arm... Ach was, solche Schrullen, schalt Karl mit sich selbst. Was bist du doch für ein Träumer. Immer diese Fanny. Besser wäre es allerdings für ihn und seinen guten Seelenfrieden gewesen, hätte er das Mädchen nicht wiedergesehen, wiedersehen müssen. Und dann noch als Engel. Besser für alle Beteiligten wäre wohl gewesen, er wäre Fanny nicht mehr begegnet. Wie es oft so spielt im Leben. Wie war er von der Kleinstadt Ramses nach Clayton gekommen? Und wie war es Fanny gelungen, den selben Weg nach Clayton zu finden, zum Natur-Theater, letztlich sogar in Oklahoma zu landen? Nun war man schon mal zusammen hier, nun musste sich arrangiert und vertragen werden. Ohne Gefühlsduselei. Ohne jegliche Aussicht auf eine Liebschaft.

Und an der Wand bemerkte Karl einen Spruch, in Latein. Es stand dort geschrieben: omne initium est difficile. Er musste an seinen Lateinprofessor denken, den alten Dr. Krumpal. Der stand mit dem Stock hinter ihm und gab, im Takt, den Rhythmus vor, in welchem er die lateinischen Verse eines Plinius oder Vergil zu skandieren hatte. Wie er doch die lateinische Metrik gehasst, verabscheut hatte. Während im deutschen Vers Wortakzent und Versakzent immer übereinstimmen, weichen sie in lateinischen Versen häufig voneinander ab. Dies hatte ihm den Unmut des Krumpal zugezogen, der ja gerade die Metrik in den Mittelpunkt seiner Übungen stellte. Natürlich fand es Karl leicht, den Spruch zu übersetzen. Seine Latein-Kenntnisse, ansonsten, konnten sich sehen lassen. „Aller Anfang ist schwer“, das war kein Problem, dies sofort und ad hoc zu übersetzen. Allerdings hatte er so viel Zeit mit dem Englisch-Studium seit der Ankunft in New York verbracht, dass sein Latein langsam, aber doch auch stetig verkümmerte. Ohne Ende hatte er Vokabeln einpauken müssen. Manche, vor allem die kaufmännischen Begriffe, gingen Karl nur sehr schwer ins Hirn hinein. Ihm schien das kaufmännische Englisch die wohl schwerste Sprache der Welt zu sein. Vielleicht mit Ausnahme von Mandarin, der Muttersprache von etwa 70 % der Han-Chinesen.

Noch immer hatte er ein Merkbüchlein bei sich, mit den wichtigsten Begriffen aus den Kontoren seines Oheims, des Senators. Obschon er damit heute ja rein gar nichts mehr anzufangen wusste. Rein aus der Nostalgie heraus bewahrte er es dennoch. Man konnte nie wissen. Eines Tages würden ihm diese Vokabeln vielleicht hilfreich zur Seite stehen. Karl schlief alsbald ein, träumte von vorbei ziehenden Landschaften und, ganz plötzlich, von einem ihm sehr bekannten Gesicht. Es war dies jener Freund aus den Zeiten der Überfahrt, von Hamburg nach New York, dem Franz Butterbaum. Diese Schiffsbekanntschaft war ihm bislang verloren gegangen. Nun tauchte jener Butterbaum plötzlich wieder auf, in einem wüsten Traum. Es gab ein Trinkgelage, und inmitten des Trubels sah er Butterbaum, wie sich dieser in grotesk verdrehter Haltung, an der Decke baumelnd, gerade erhängt hatte. Und Karl, am Klavier sitzend und wild lachend, spielte eine gehetzte Polka. Auffällig schien ihm das rote Gesicht. So blutrot und wild hatte er

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