Senryu ✓ Gedichte, Erklärung und Aufbau
erinnerungen
zukunft von gestern im jetzt
entbundene…
Oh Lyrikzauber,
lass die Seele erglühen
zu…
Wer und warum sind wir?
Woher kommen wir, wohin
werden…
Geliebte Freiheit.
Du machst mir Glücksgefühle,
wenn…
Alltäglichkeiten
Spiegel des Unendlichen
Verdichten…
Gemüt umfließend
Wortgelöst unverkostet
Witter…
Abgespiegelte
Wunder ragende Wesen
Zur Frage gekürt…
Aufwachen im Raum
aus Federsommern darin
…
Worte verschwinden
Im Sog der Illusionen
Natur ist…
Staubflocken atmend
Träge von Böen umflort
Abgetrennt…
O, sieh doch, Liebste:
ich küsse deinen Schatten,
ob…
Vorbereitungen
Süss der Schmelz Vergänglichkeit
Stille…
Lichtdurchflutetes
Zwinkern kürt allein Primzahl
…
Der Himmel so blau
und im Wind steht ein Drachen.
Die…
Liebe geht leise
Schließt auf.Wärmt.Heilt und beschützt.…
Spontan quälen mich
bedrückende Gedanken.
Chaos auf…
Ja, lausche du stets
Nur Rausch mein Flüstern zur Welt…
Gedanken führen
zur Freiheit oder Knechtschaft.
Bleib…
Sprache des Virus
unerhört.unverstanden
im Rausch der…
Wahres Wirklichkeit
Zug phasenhaften Basements
…
Manch‘ Mal Gemeinplatz
Unklar Attitüden gleich
…
Ein altes Jahr reist
Verpackt in blassen Hüllen
Zurück…
Junges Gemüse
Trägt das alte Einkaufsnetz
Letzter Gang…
Fremder Mensch im Park
lächelt im Vorübergeh'n.
Sein…
ins unwahrscheinlich
gemeißelt weithin diffus
jener…
Dein Lächeln macht schön.
So spiegel ich mich in dir.
…
In der Reflexion
Des Lichtes im Menschen
Offenbarst Du…
Die klare Sicht auch
auf die Missstände der Welt.
Das…
Sonntag -
das hohe C
auf der Tonleiter der Woche ...…
Küchen Kabinett
wohlige Bedeutsamkeit
Familien Sinn…
Ihrer Flüchtigkeit zum Trotz
beschenkt sie deine Zukunft…
Wonach schaue ich
mit geschlossenen Augen?
Such'…
Adam & Eva -
auch sie ...
hätten eine zweite…
fahl wirkt das sehnen
wähnend ragender wesen
zum…
Nicht ungewöhnlich
im täglichen Hin und Her
wird man…
Du redest vom Glück,
vereint mit mir auf Erden
und…
Herrschaft der Zahlen
macht aus Menschen Maschinen.
…
Und die Atemnot
wirkt so fahl im Vertrauen
auf den…
Zerbröselter Plan
Das Leben kam dazwischen
Zufällig…
Vorbestimmt
Jugend und Alter
Befindlichkeiten auf Zeit…
Tauben auf dem Dach
Hände halten einen Spatz
Gedanken…
Gedicht als Glückslicht
leuchtet, funkelt und schmeichelt…
Frühlingsgefühle -
unruhig die Atemzüge
unter der…
Oh du großer Held,
nimm dich nur nicht so wichtig.
…
Silberblauer Faden
zeichnet meine Gedanken
auf das…
Auf dem Weg -
zu ihr ...
Böse Gerüchte
Können Leben zerstören.
Nur nicht…
Reines Herz
Dein Herz ist so rein
wie eine Lotosblume…
Ist Tod Untergang
oder trostvoll Übergang?
…
Luftschloss, zentrumsnah -
vorübergehend
vakant ...…
Ohne Ethik ist
Meine ganze Rhetorik
Nichts als…
Meine Farbe Grau
Zwischen Weiß und Schwarz ihr Sein
…
Unter dem Baum dort
sitzt der obdachlose Karl.
Dein…
Wickelt das Grauen
weiter in schöne Worte.
Lullt den…
Wer die Seele zeigt,
kann mit Angriffen rechnen.
…
wer wüsste alles
gewachsen durch vergessen
des…
Montag -
die Wunder des Alltags
entfalten sich
In Demut ergraut
all die prachtvollen Farben
dem Alter…
Schau dir den Mann an,
sein Gesicht wird ellenlang.
…
der obdachlose –
zugedeckt unter werbung
für…
Atem. Tor zum Glück,
machst gedankenfrei mein Hirn.
…
Ein weißer Vogel
auf satten grünen Auen-
die Hoffnung…
Neid ist wie ein Gift,
das schleichend Seelen zerfrisst.…
Coronakrise -
Das Virus droht zu sterben
ohne den…
Hoffnungslosigkeit
Kein Anfang kein Ende
In Sicht
Rosen in der Nacht.
Keiner sieht ihre Farbe.
…
Schön oder nicht schön,
das ist hier nicht die Frage.
…
Sonntag -
Der Sopran
im gemischten Chor der Woche…
Wenn Mond des nachts wacht,
wächst Verlangen nach Sonne.…
Autoscheinwerfer
sind wie Irrlichter im Wald.
…
Heimat -
auf einer Wellenlänge
mit dir ...
Wer sich nicht anpasst,
geht jämmerlich zugrunde.
So…
Lasst uns jetzt lachen.
Du und ich in Harmonie,
bevor…
Mit Adam allein -
ohne World Wide Web, sex’n’ crime,
…
Ein und aus, ewig
sollst du atmen, ein und aus.
Sollst…
Seiten
Erklärung, Aufbau und Beispiele des traditionellen Senryu (Senryū)
Debon (1984, S. 411) nennt die Senryu „Siebzehnzeiler, die keine ‚haiku‘ sind“. Die Darstellungen über Entstehung und Entwicklung sind widersprüchlich. Ich folge den grundlegenden Ausführungen Blyths.
Formel dem Haiku gleich, dreizeilig mit 17 Silben in der bekannten Aufteilung 5 - 7 - 5, steht seine inhaltliche Prägung in der Tradition des Renga und zwar in der Mindless-Form, dem mushin-renga, ‚herzloses Kettengedicht‘, das den humorvollen, witzigen und an Wortspielen reichen Stil bevorzugte und sich im Volk großer Beliebtheit erfreute (Blyth 9. A. 1984, Vol. I, S. 42). Es wurde in der umgekehrten Silbenfolge 7 - 7 / 5 - 7 - 5 von zwei Autoren geschrieben. Dabei galt es, den dreizeiligen Vers in unerwarteter und überaschender Weise an den vierzehnsilbigen Vordervers anzuschließen. Diese Form des mushin-rengas hieß maekuzuke „Vordervers-Anschluß“ (Debon 1984, S. 410).
Als Beispiel für das maekuzuke ein Gedicht von Sōkan:
Kirtaku mo ari
kiritaku mo nashi
Nusubito wo
toraete mireba
waga ko nari
Erschlagen könnt ich ihn
aber dann doch wieder nicht.
Erwischt wurde der Dieb
und als ich näher hinsah,
war es mein eigener Sohn.
Debon (1984, S. 411)
Der zweite Traditionsstrang, der das Senryu prägte, ist das kyōka, das ‚komische Waka‘, ‚Trollgedicht‘, oder auch kyōku, das ‚Trollvers‘ oder ‚verrückter Vers‘ – ein satirisches Hokku (Blyth 1960, S. 13).
Sōkan wa
doko e to hito no
tōtareba
chito yōji ari
anoyo e to ie
Should Poeple ask
Where Sōkan has gone
Then answer,
"He has gone on some business
To the next world."
Blyth (1960, S. 13)
In den 300 Jahren nach Sōkan sind ständig humoristische Gedichte geschrieben worden, in den letzten 100 Jahren vornehmlich in der Hokku-Form; sie waren jedoch kaum bekannt und auch wenig geachtet. Das änderte sich erst durch Karai Hachiemon (1718-1790).
Karai Hachiemon war offiziell ernannter Sammler und genoss als solcher ein hohes Ansehen. Weniger seinem eigenen dichterischen Talent als vielmehr seiner ausgiebigen Tätigkeit als kritischer Beurteiler und Selektor verdankte er seine Popularität. Diesem Umstand und der Vorliebe Karai Hachiemons für das kyōku ist es zuzuschreiben, dass diese Gedichtart entdeckt wurde und Berühmtheit erlangte.
...
Hachiemon begann seine Sammeltätigkeit 1757; der erste Teil der Anthologie erschien 1765; bis zu seinem Tode 1790 umfasste sie 24 Bände. Der ausführliche Titel lautet: ‚Imosegawa Yanagidaru‘, vom ersten Wort das Ende und vom zweiten der Anfang ergeben die japanische Lesart für Senryu, gawa-yanagi, das übersetzt Flußweide heißt. Diese Wortkombination wählte Hachiemon zum Pseudonym. Erst nach seinem Tod wurde der name auf die gedichtform übertragen.
Sein Lebenswerk und der Umstand, dass das Haiku sich inzwischen zu einer hochgeistigen Gedichtform gewandelt hatte, machten das Senryu ungeheuer populär, denn es bot jedermann die Möglichkeit literarischer Betätigung, der außer der formalen Begrenztheit keine Einschränkungen auferlegt waren.
Das Senryu lebt von „Hyperbolen, Metaphern, Personifizierungen, Kalauern und Verballhornungen; es liebt die respektlose Verspottung, die Travestie und die Parodie“ (Debon 1984, S. 412), versprachlicht Ironie, Satire und Dummheit, menschliche Schwächen, alltägliches Einerlei und banale Nichtigkeit. Der Sprachstil ist umgangssprachlich geprägt, liberal, niemals moralisierend oder anklagend, dafür spöttisch, ja zuweilen zynisch und anzüglich (Blyth 1960, S. 7):
Nusumi yori
kuretaru hana wa
ori-nikushi
It is more difficult
To break off a branch he is given
Than to steal one.
Blyth (1960, S. 166)
Wenn man einen Blütenzweig stiehlt, so nimmt man soviel, wie man haben möchte, aber wenn man ihn geschenkt bekommt, fürchtet man, unbescheiden zu sein und zuviel abzubrechen.
Dorobō no
kaeri ni marui
tsuki wo home
Yasharō
On the way back
From stealing,
He praises the round moon.
Blyth (1960, S. 221)
Dieses ist ein Beispiel dafür, dass das Senryu sich jeder moralisierenden Äußerung enthält. Der satirische Unterton ist sehr zart. Der Dieb hat durch den erfolgreichen Diebstahl alle seine Materiellen Wünsche erfüllt. Nun, auf dem Heimweg, erwacht seine geistige Natur, und er betrachtet den Vollmond mit ruhigem und friedlichen Sinn.
[Auszüge aus "Das deutsche Kurzgedicht - in der Tradition japanischer Gedichtformen" ISBN 3 88996 144 4; Mit freundlicher Genehmigung von Margret Buerschaper]