Parabel ✓ dem Gleichnis verwandte Form von Literatur
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PARABEL - Die Parabel - eine zweifelhafte Offenbarung?
"Parabola, das Lehrgedicht / erzählet eine kurz Geschichte / welche ihre Deutung hat / und auch geschehen könnte. Die Fabel aber erzählt vielmals / was nicht geschehen kann und macht nicht nur die Tiere / sondern auch die Steine reden. Die lassen wir den alten Weibern / jene aber den verständigeren Leuten."
So definiert der Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer die kleine Kunstform, an der sich immer wieder große Autoren versucht haben. Der Poetiklehrer Gottsched beschreibt die Parabel ganz nüchtern so: "... eine unter gewissen Umständen mögliche, aber nicht wirklich vorgefallene Begebenheit, darunter eine moralische Wahrheit verborgen liegt."
Nun, wem da nicht die Lust zum Lesen vergeht! Da halten wir uns doch lieber an Johann Gottfried Herder: "... sie ist ein erhabenes, aber dunkles Bild, ein Götterspruch, den ein rätselhafter Parallelismus gleichsam nur von ferne hertönet ..." Das klingt ein bisschen rätselhaft ... Versuchen wir es mit einer Erklärung aus dem 20. Jahrhundert! Sie stammt von Andre Jolles: " Die Parabel stellt zwar die
Frage, aber sie gibt keine Antwort. Sie legt uns die Pflicht der Entscheidung auf, aber die Entscheidung selbst enthält sie nicht." Das ist doch eine echte Hilfe, oder nicht?
Die Parabel gehört wie die Fabel zu den Ausprägungen bildlicher Erzählrede (vgl. Sprichwort, Gleichnis, Allegorie). Auch die Parabel verfolgt den Zweck, eine im Bild veranschaulichte Erkenntnis (Bildebene) mit Hilfe eines Analogieschlusses auf die Erkenntnis selbst zu übertragen (Sinnebene). Insofern besteht zwischen Fabel und Parabel eine so weitgehende Übereinstimmung, dass eine prinzipielle Trennung gar nicht möglich ist. Ein Unterschied besteht darin, dass die Fabel in erster Linie im Bereich von Tieren, Pflanzen, Dingen spielt. Sie muss deshalb anthropom orphisieren und die Züge ihrer Figuren "künstlich" stilisieren, während die Parabelhandlung Beispiel und Bild vorwiegend zwischenmenschlichen Verhältnissen entnimmt. Die Fabel verlagert den Problembereich nach "außen". Sie ist schematischer im Aufbau und in der Wahl des Kodes und ist deshalb auch in der Deutung die einfachere Form. Die Parabel ist demgegenüber flexibler. Die Beziehungen zwischen Bild- und Sinnebene sind differenzierter und offener. Für den Leser ergeben sich oft verschiedene Dechiffrierungsmöglichkeiten. Denn während die Fabel als Ganzes Zug um Zug übertragen werden kann, gilt dies für die Parabel nur punktuell. Die Kunst der indirekten Belehrung führt hier über eine relativ selbständige Erzählung, die ohne Erklärung, ohne ausdrücklichen Bezug, vieldeutig bleibt. Die Vielschichtigkeit des gemeinten Sinns gilt besonders für die moderne Parabel. So führen Kafkas parabolische Erzählungen jedes Mal in Bereiche, die durch überkommene Wahrheiten kaum erschlossen sind. Der Leser wird in seinem Selbst- und Weltverständnis nachhaltig verunsichert. Auch in Brechts Parabeln wird keine positive "Lehre" vermittelt, sondern es wird auf dem Weg über das Beispiel den geläufigen Denkweisen gegenüber 4 zum Widerspruch aufgefordert. Der Leser soll lernen, eine kritische Haltung einzunehmen, darauf kann dann die von Brecht intend ierte revolutionäre Aktivierung aufbauen.
(aus: Literaturunterricht im 9. Schuljahr, Lehrerband zum Lesebuch C9; Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1972; Quelle: http://www.deutsch-ethik-geschichte.de)