> Die Frau vom CSD-Plakat
Wann immer ich das Plakat und sie darauf sah, fragte ich mich, welche Beziehung die zu irgendeinem wichtigen Menschen hat. Dass man dieses beleidigte Flunschgesicht wählen konnte zu behaupten, es wäre „Charme“! Und ihr Partner war so ein behaarter Bobbel, der an Patrick Magnee oder Ralph Fiennes nicht die Spur erinnerte, ein braves Charlie-Chaplin-Zitat. Wenn ich das Benno schreiben dürfte, wäre er eingeschnappt.
> Alle knäfig.
Ist dieses eine schwäbische Vokabel? Soll ich in Langenscheidts Liliput-Wörterbuch „Schwäbisch“ nachschlagen, wenn ich in Sulzbach bin und keiner merkt, dass ich diese Zeit mir nehme? Ich kenne ein Wort namens „gnätschig“, nehme einstweilen an, sie sind mehr oder weniger synonym.
> Was für Zeug zu Ruhm führt!
Ach was! Das ist eine Mogelpackung. Wenn es nicht von Thomas Mann wäre, würde aus dem Erzählband heute nichts mehr gelesen außer „Tod in Venedig“. Den Rest würden Germanisten kennen, als Jugendstil oder Neuklassik. Mit „Buddenbrooks“ kam Mann zu Weltruhm. Und in die Literaturgeschichte ist er nicht als One-Hit-Wonder eingegangen, weil er „Zauberberg“, „Joseph und seine Brüder“, „Doktor Faustus“ hinterlassen hat, aber doch nicht „Die vertauschten Köpfe“! Wenn Thomas Mann dich dereinst mal wieder interessieren kann, greife zu „Felix Krull“. Recht behäbige Ganovengeschichte, super-edel formuliert. Vergewaltige den Text und schau dich nach den päderastischen Stellen um. Wirst was finden.
> Die hausbackene Göttin.
Da bin ich noch nicht.
> Gähnte bei der echten, viel mehr bei der Antigone von Anouilh.
Jean Anouilh ist einer von den Autoren, die mit der Zeit vergessen werden werden. Fand zu meiner Schulzeit „Antigone“ aber nicht übel. Las einiges von ihm. Ist doch nett, wenn ein Zeitgenosse den Zugang zu hehrem Bildungsgut mit slightly modernisierten Versionen erleichtert.
> Wieso machen Literaten dieselbe Geschichte noch und noch?
Weil alle Geschichten erzählt sind. Lange. Nein, nicht alle. Die Geschichte von den Büchern, Buchlaufkarten und Preisänderungsanzeigeblättern, die zwischen Brettheim und Sulzbach Stücker drei Mal hin und zurück transportiert wurden, bis sie gestoppt werden konnten, weil einer heimlich einen Regelverstoß beging, die ist niemals erzählt worden. Aber zehntausend Leute würde sie auch nicht interessieren. Jene Geschichten sind erzählt.
Wieder hat Marcel Reich-Ranicki so recht. Das sagt er seit vierzig Jahren sich wiederholend: „Gute Romane handeln von der Liebe. Also handeln sie von der Vergänglichkeit des Menschlichen. Indem sie von der Vergänglichkeit erzählen, sprechen sie vom Tod.“ Das hatten andere schon festgestellt. Außer Liebe und Tod (Sex, Verbrechen, Krankheit, Mord, Betrug, Verführung usw.) interessiert den Menschen im Grunde nichts. Wobei heute (war es nicht immer so?) vor allem jene Bücher verkaufen, die Kardinalfragen auf die Mechanik des Jugendbuchs bringen.
Jugendbücher: Man sucht sich ein einziges unter Millionen Problemen, lässt ein zehnjähriges Mädchen oder einen dreizehnjährigen Jungen das Problem erleben, zeigt, wie sie oder er es meistert. In Serie dann ein Jugendbuch zum Alkoholismus, Jugendbuch zum Stress, Jugendbuch zum Holocaust, Jugendbuch zu Kindesmissbrauch, Jugendbuch zur Homosexualität, Jugendbuch über den Tod, Jugendbuch zum Giftmüllskandal. So kommt es, dass heute all diese Frauenromane, Krimis gebunden erscheinen. Zu meiner Zeit gab’s die im Taschenbuch. Das Liebesverlangen schokoladesüchtiger Verlagsmitarbeiterinnen wird von Hugh Grant ausgenutzt, der nur das Eine will, aber charmant ist. Am Ende tritt der Norwegerpulliträger auf, um sie zu retten. (Auch Nutten werden geschlitzt oder kleine Kinder verkauft.)
Wahrscheinlich werden die meisten Autoren von irgendwas aus ihrem Leben zum Schreiben getrieben. Wenn sie gebildet sind und nachdenken, entdecken sie, welche Geschichten in ihrer eigenen Geschichte stecken.
Das ist Pygmalion. Menschenfeind holt sich ungehobeltes Wesen ins Haus, erzieht es zu anderer Persönlichkeit, in die er sich nun unglücklich verliebt. Das ist Medea. Frau lässt aus Liebe alles hinter sich, wird dann fallen gelassen. Muss die Kinder töten, um sich zu rächen. Das ist Moses. Ein Mann gibt sich mit Alltagsexistenz nicht zufrieden, sondern folgt seiner Vision, will die Massen auf neue Stufe der Zivilisation führen. Er wird zum eisernen Gesetzgeber, jeder Führer wird ja einsam, Willy Brandt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder. Er fällt, wenn er die Ziele durchgesetzt hat. Kurz vor seinem gelobten Land geht er unter. (Brandt, Kohl, Schröder.) Kain und Abel. Zwei Brüder haben unterschiedliche Charaktere, einer rechtschaffen, aber langweilig, der zweite zügellos, aber charmant. Jahre vergehen. Wie hieß es bei John Steinbeck, was dann als „Jenseits von Eden“ mit James Dean verfilmt wurde? „Jenseits von Eden“, glaube ich fast. Bei Norman MacLean und Robert Redford heißt es „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“, ein Buch, welches Frau Rot an ihrem Lager hat. Bei Bruce Springsteen hieß das „Highway Patrolman“, Sean Penn hat seinen Film „Indian Runner“ nach diesem Song gemacht. Den Versuch, die Titel, unter denen wir „Romeo und Julia“ schon kennen, aufzuzählen, lasse ich hier sein.
Archetypische Geschichten haben Vorteile. Die Menschen treffen auf Bekanntes. Sie müssen sich nicht extra anstrengen. Außerdem gehen sie nicht davon aus, der Autor würde sein Privatleben abschildern. Der Autor hat es ebenfalls leichter, er hat Baupläne, die er ausmalen kann. Es macht auch Vergnügen, mit Mustern zu jonglieren. Intertextualität, Spiel mit fremden Texten, Texte, die auf weitere Texte verweisen.
> Hermann Hesse und Heinrich Böll
An sich nie wirklich schlecht, ein wenig schlicht, nicht blendend formuliert. Leute meines Alters haben in ihrer Jugend alles noch gelesen. Inzwischen habe ich erfahren, dass Paul Auster (New York) und Bernhard Schlink (Diogenes-Autor) jetzt gelesen werden in der Schule.
> Zur Entspannung Fantasy-Roman ... Telefonnummer von Buchhandlung Rot?
Brauchst nicht anzurufen. Kannst gleich im Internet bestellen unter www.buecher-rot.de bzw. über den Link zu KNOe. Leider bist du für Fantasy bei der falschen Adresse. Du kennst doch diese drehbaren Ständer für Taschenbücher? Stelle dir vor, dass eine einzige Etage so eines Drehständers, nämlich die unterste, mit Fantasy, Horror, Science Fiction gefüllt ist. Dagegen mit den heiteren Romanen für die Damenwelt ungefähr sechs Etagen. Denke dir, dass die dickleibigen Wälzer von Wolfgang Hohlbein oder Marion Zimmer-Bradley doch auch dort unten stehen! Beraten wird sie dich nicht können, da sie erstens bekanntlich nicht liest, zweitens, falls je doch, dann Kinderbücher und Arkana des Fünf-Elemente-Kochens, Gedankenreisen, Gehmeditation, Engelsehen, Heilsteine.
Für SF und Fantasy ist der Herr Olaf Steller (mit dem extrem laschen Händedruck) zuständig. (Unsere erste und letzte körperliche Berührung.) Stellerlein könnte auch schwul sein auf irgendeine unklare Art, wäre er nicht sowieso asexuell. Rührender Fall. Bestellte sich einen Dampflokkalender. Als wir den Schulbuchauftrag ausfuhren, fotografierte er wild die Weinberge, weil das süddeutsch aussah. Eines muss man ihm ja lassen: Steller ist zäh. Frau Rot scheint (!) ihm nichts auszumachen. Obwohl sie ihm was ausmacht. (Ich weiß das.) Dieser Mann wird durchkommen. Einer wird überleben. Dann die Karriere im Buchhandel. Mit fünfzig buckeln und nicht ahnen, dass Jakob Arjouni bei Krimis einzuordnen wäre. Verkrampftes Höflichkeitsgekicher, wenn Zausel Sätze von Reinhold Schneider zitieren und anfügen, er wisse nun, was er bei den Frauen anzustellen hätte. Leider ist der Steller inzwischen abwesend (deswegen seine lasche Abschiedshand). Seine Oma wird 95. Nach drei Monaten Überstundenabbau hat er immer noch zig über davon!