> Normal ist keine Kategorie, mit der ich mich aufhalte.
Na, super.
>> Architektur, die sich zweckfrei Schönes genehmigen darf.
> Baut niemand. Entweder es vereint Pomp mit Nutzen oder es bleibt in unseren Köpfen.
Oder es ist der allgemeinen Volksmoral dienlich und wird subventioniert. Dann heißt es Neue Wache, Jüdisches oder Historisches Museum, Holocaust-Stelenfeld.
Oder „Boden für die Bevölkerung“! Gernot Böhme, der hiesige SPD-MdB, den sie nach seinem Veto gegen die weltumsprannenden Friedensmissionen auf ihrer Kandidatenliste so weit nach unten gedrückt hatten, dass es heute keinen MdB Böhme mehr gibt, durfte, als er im Reichstag noch war, Erde auskippen im Namen der Heiligbrunner „Bevölkerung“. Politisch korrekter Quark!
Weil die Nazis sich vergnügt hatten mit ihrem „Volk“, weil in Deutschland viele Ausländer leben, die wir alle mögen, gibt es kein „Volk“ mehr, keine „Nation“, sondern „Bevölkerung“ allenthalben. Nachrichten im Deutschlandfunk: „Bei einer Kranzniederlegung in Moskau sprach Bundeskanzler Schröder in Begleitung von Präsident Putin der russischen Bevölkerung sein Beileid aus für ...“ Die Bereitung der Bewaldung und die Belebung einer Befriedung, Bereitstellung einer angemessenen Bebauung, das hat bei der Bevölkerung Berücksichtigung gefunden.
> Was du sollst, weiß ich nicht.
Ich auch nicht. Zum Glück gibt’s Experten. Arbeitsamt-mäßig ist der Stand: Einerseits habe ich bis Weihnachten eine Sperre gekriegt. „Ich verkenne nicht, dass Ihre Gründe subjektiv schwerwiegend waren. Aber der Gemeinschaft der Versicherten kann die BeendigUNG eines BeschäftigUNGsverhältnisses aus eigenem Antrieb nur zugemutet werden, wenn die BelastUNGen an einem Arbeitsplatz objektiv unzumutbar sind.“
Dies Sätzchen haben sie innerhalb der vergangenen zwölf Monate in ihr Repertoire frisch aufgenommen. Andererseits bekam ich für nach der Sperre Arbeitslosenhilfe schon zugesprochen. Und zwar, ich hatte es nicht zu hoffen gewagt, in der gleichen Höhe wie im März. Die zahlen mir dann mehr Arbeitslosenhilfe, als Frau Rot mir für meine Arbeit gegeben hat!
Arbeitsberaterin Kleff, das ist die, die mich vor einem Jahr an Akademikerberaterin Weiser abgestoßen hatte, die mich ihrerseits an AQF abtrat, hat mich zur Frau Schmid vom „Projektteam“ geschickt. Was dieses schöne Wort bedeutet, da hüllt man sich - auch auf Nachfrage - in nebulöse Formulierungen. „Projektteam“ oder „Case Management“, was Frau Schmid betreibt, sind die modernsten Waffen des Arbeitsamts. Nämlich besteht dieses „Team“ dort aus „Externen“, was immer das heißen mag. Ist was Großes. Die Schmid ist so eine rabiate Rothaarige, klein wenig jünger als ich, nicht besonders hübsch und alles andere als dumm. Für SM würde sie sich, glaub ich, recht gut eignen, besonders für eine Sklavin.
Während der halben Stunde, über welche Frau Schmid verfügte, gab sie zu verstehen, sprachlich sei ich doch sehr gewandt, als „guten Verkäufer“ könnte sie sich mich vorstellen. Außerdem bin ich „sehr intelligent“. „Jemand, der nicht dumm ist, wie Sie“, pflegte die Akademikerberaterin Weiser einst zu sprechen. „Machen Sie sich darauf gefasst, ich werde nicht zulassen, dass jemand wie Sie keiner Arbeit nachgeht! Viele Leute können sich viel schlechter artikulieren und müssen sich auch jeden Tag durchs Leben schlagen.“ Sie selbst natürlich nicht. Sie kann sich nämlich beinahe so gut ausdrücken wie ich.
Überhaupt verstünde Frau Schmid ja nicht, warum ich so lange ohne Stelle geblieben wäre - in früherer Zeit. Will sagen, sie deutete an, durch trickreiches Verhalten hätte ich mich über Jahre der Arbeit entzogen. Was Frau Weiser mir auf den Kopf zugesagt hatte. Insofern wenig Neues vom Amte. Dann: „Dass diese Situation Sie zufrieden stellt, kann ich mir nicht vorstellen. „Sie sagen, Sie bewerben sich auf Stellenangebote aus dem SIS-Computer. Ich glaub nicht, dass jemand Sie nehmen wird.“
Ich verfüge über „Kenntnisse“ und „Fähigkeiten“, könnte mit meinem Lebenslauf aber nicht dokumentieren, dass sie dem Chef auch was einbringen. „Sie werden nur eingestellt, wenn der Arbeitgeber einen Mehrwert durch sie bekommt.“ Auf dem Arbeitsamt gibt’s jetzt das kleine „Karl-Marx-Meeting“. Sie sehe noch Raum im „gewerblichen Bereich“. Dafür kam ihr erstes Beispiel dann so: Staplerfahrer. „Lagerhelfer“ hatte die Jungmann von AQF das stets genannt.
Folgerichtig ist es alles. Durchgehend drücke ich mich vor Arbeit, bin mithin unzufrieden, weil ich nie eine habe. Ich bin intelligent, kann mich ausdrücken. Deshalb liegen die Chancen vornehmlich im Staplerfahrerbereich. Meinem Chef bringe ich keinen Mehrwert ein, obwohl ich bei Relations Advance 13 Monate für 1600 Euro auf einer Stelle gearbeitet habe, die im SiS-Computersystem jetzt gerade für 2500 Euro ausgelobt wird. (Von jenen 1600 Euro hatte sechzig Prozent übrigens das Arbeitsamt übernommen. Einarbeitung eines Langzeitarbeitslosen. Zurückzahlen mussten sie das wohl kaum, da nicht sie mich, sondern ich mich gekündigt habe.)
Schmid, die mir zwischen ihren Zeilen unterstellte, dass ich mich nicht sinnhaltig bewerbe, was ich allerdings tue, ahne ich doch, dass sie es eines Tages überprüfen werden, ließ einfließen, ich könnte schon auch noch eine weitere Sperre kriegen. Das wäre dann das Ende. So wörtlich. „Das ist dann das Ende.“
Wie John Carpenter. Damit falle ich aus dem System, werde dem Sozialamt überlassen. „Nebel des Grauens“, John Carpenter.
Weil sie weder meinen Lebenslauf noch meine Kündigungsbegründung bekommen hätte, von Frau Kleff, starrte sie die (halbe) Sprechstunde auf die Datei in ihrem Computer, wobei dort nun Fehler auftauchten. Resultat dieses Treffens folgende Aufträge: Lebenslauf und Begründung habe ich ihr neu zuzuschicken. Wenn sie’s gelesen hat, bestellt sie mich noch mal. Dann will sie hören, was ich zu arbeiten gedenke. „Die ZielfindUNG nehme ich Ihnen nicht ab.“ Das kennen wir von AQF auch so.
Frau Schmids Kurzversion meiner Buchhandels-Kündigungsgründe: „Das deutet auf mangelnde Toleranz. [Meinerseits.] Sie müssen gegenüber sich selbst kritisch sein und an sich arbeiten!“ Diese goldenen Worte und ihr Handschlag. „Also denken Sie nach, wie Sie an sich arbeiten können.“
„Projekt“. Ein Lieblingswort der Dame Magalie Rot. „Die Fenster in Sulzbach müssen am Nachmittag geputzt werden. Das ist schon Ihr nächstes Projekt.“ Du weißt, man braucht immer seine „Visionen“. Seine Visionen, die spaltet man in lauter schöne „Projekte“ auf.
> Zumindest erkenne ich keinen Wert. Geniales kommt alle 100 Jahre raus.
Welch harte Worte! Du hast es erkannt. Ich mache, weil mich dieses Machen fesselt. Nach dem Frühstück fange ich an. Einen Tag komme ich nicht zum Waschen, Rasieren oder Essen. Wenn mir die Augen flimmern, rauche ich, also zu viel. Dann muss ich weitermachen. Solcherlei zweckfreie, lang anhaltende Suchterfahrungen sind in meinem Leben etwas Neues. Na, für „Vulcano“-Monsterartikel und einige Monsterbriefe hatte ich drei Tage geopfert. Schreiben macht keinen Spaß, weil das Gefühl nicht weggeht, es wird und wird nicht. Die Schreibanstrengung endet in Unzufriedenheit. Bei Bildern ist es egal, wie Fremde sie sehen, den eigenen Maßstäben genügen sie, also macht es Spaß.
Gucke da! Der Kollege Grafiker ist ausgesprochen reizvoll! Na ja, die Art Schönheit, von der Benno als „langweiliger Schönheit“ spricht. Ach, wen hatte er gemeint? Dich oder deinen Schnuckel? Ach, den Schnuckel, denke ich. Und noch mal eine Briefmarke aus Pixeln wie Backsteine! Günther Kaufmann ist dagegen um einiges brillanter. Warum sollte ich Geniales hervorbringen? Weder bin oder war ich bildender Künstler, noch Fotograf, noch habe ich so was wie Werbe- und Web-Design gelernt.
> Der unter Mordanklage stehende Kaufmann weiterhin unter Anklage, Tod seines Steuerberaters verursacht zu haben. Bei einer Rangelei sei er auf diesen gefallen und habe ihn erstickt.
Das ist schon witzig. München ist ein heißes Pflaster. Fällt auf Veronica Ferres mal einer? In seinen besseren Tagen sah der Günther aus wie unser Hermann Hofschmied. Wenn man die Farbe abschabt, bleibat a Bayern-Bazi üba. So jedenfalls auf diesem Altersfoto. Es ist seltsam, wenn Figuren fidel am Leben sind, die zu ihren Lebzeiten es fast noch nie waren.
In „ups!“ gelesen:
1. „Mannztoll“ hat die Titel von Manfred Riemanns „Lambda Presse“ übernommen.
2. Werner Degenhardt arbeitet nicht mehr bei der Zeitschrift, kann den Verlag „Mannztoll“ jetzt full time führen.
3. Zum Abschied ließ er ein Buch von Ernst Walter Schrufta hochleben, aus dem eigenen Verlagsprogramm. Schrufta sei „Sorgenkind“, weil er für den Verlag nicht annähernd so gut wie Armistead Maupin verkaufe. (Lese Maupins „Nächtlichen Lauscher“, der angeblich anders als dessen Frisco-Geschichten ist. Aus der Waisenhaus-Bücherei. Sehr unterhaltsam, liest sich von selbst, aber weiter TV-Soap, wie man es kennt, man liest sich süchtig, weiß hinterher aber nicht, weshalb man das geliebt hat.) „Sorgenkinder liebt man am meisten“ (Degenhardt über Schrufta).
Schrufta hat im Selbstverlag ein Buch herausgebracht, das Degenhardt anscheinend nicht dermaßen geliebt hat. Degenhardt im Artikel der Zeitschrift: „Wie immer beschreibt Ernst Walter Schrufta die Schattenseiten schwulen Existierens.“ Bei derlei Statements frage ich mich, ob Degenhardt seinen Autoren jemals verstanden hat. Stimmt, Schrufta erzählt Schwules, selten ist es schön. Aber er hatte das Realismuskonzept sowieso nie, dem Degenhardt oder Maupin anzuhängen scheinen. Mit jedem Satz stößt Schrufta einen derauf, dass man keinem Leben zusieht, sondern den Wörtern beim Tanzen und Ficken. Manchmal wird das auch too much. Vielleicht weiß Verleger Degenhardt, dass so ein Schreiben dem gemeinen Leser zu hoch ist. Der Gemeine will nur Wirklichkeit. (Am besten die in Anführungszeichen: „Eine wahre Geschichte.“)
> Für dich ist ein Bild gut, wenn da ein Engel drauf ist.
Kannst du dir ein - unter erotischen Gesichtspunkten gemachtes - Aktbild eines Sechzehnjährigen vorstellen, welches du mal ein „gutes Foto“ nennen könntest? Doch wohl eher nicht.
> Weil sie von zwei Leuten gelesen werden, sind Lautschlägers Texte prima.
Also, wenn sie außer von uns beiden von keinem mehr gelesen werden, könnten wir es doch auch mal lassen. Nächste Ausgabe letzte Novembertage, meldete Benno. Herr Sperr ist „um zwei Ecken“ auf dem Laufenden (namens Andreas).
>> Das Layout wäre schlecht.
> Andreas Comic-Zeichner, Layout kann er nicht.
War der Vulcano-Comic von Andreas? Nicht vom hübschen Büblein? Eigentlich egal. Allerorten hat man jetzt Comics, dabei gab’s Ralf König, dem sie nacheifern, vor zwanzig Jahren schon. Mich stört, dass die Jungzeichner zwar nett zeichnen, aber keinen Sinn für Geschichten zu haben scheinen. Im Gegensatz zu Ralf König. Comic ohne Pointe scheint ihre Mode. In Vulcano dann noch derart bieder, dass man nur weinen mag. Andernorts sieht man schwule Väter im Park nachts ihre eigenen Söhne ficken, versehentlich, weil es dort dunkel ist. Das ist weniger bieder und nicht ganz ohne Pointe.
Das Layout von Andreas gefällt mir nicht. Benno kann’s eben besser, wie „Red Ribbon“ belegte. Andreas hat keinen Geschmack. Alles zu voll, billig, knallig. Styla mag’s bestimmt. Sage nichts zu ihm! Wenn die Leute keinen Geschmack haben, kann Zureden es nicht bessern.
> Er sieht aus wie Alison Moyet.
Auf diesen Vergleich wäre ich nicht gekommen. Wer ist Alison Moyet überhaupt? Am Samstag bin ich beim Schnäppchenmarkt für Secondhandplatten gewesen. Dort ist mir klar geworden, dass es eine Sorte Pop-Künstler gibt, die einen Moment lang Nummer eins sind, die dann also jeder kennt, an die man sich noch lang erinnern wird wegen diesem einen Moment. Sie machen dann ja immer alle weiter, nie schlecht. Keine Sau interessiert sich dann noch für Lisa Stansfield, Sinead O’Connor, Bryan Ferry. Rod Stewart singt George Gershwin. Das ehrt seinen Geschmack.
Viele Grüße ab den Heiligen Wassern von Babylon!
(„There we wept when we remembered Zion.“)
Dein Rolf